Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
Vom Netzwerk:
schon gewarnt worden ist, ehe der Dieb sich nähert.«
    »Ich bin wirklich gewarnt worden«, sagte Steinauge. »Du brauchst dir also nichts vorzuwerfen.«
    »Ergebensten Dank, daß du in deiner Großmut versuchst, mein Selbstbewußtsein zu stärken«, sagte das Wiesel, und Steinauge meinte, in seiner Hand zu spüren, wie es sich höflich zu verbeugen versuchte, während es fortfuhr: »Ist es erlaubt zu fragen, wer dich gewarnt hat?«
    »Eine Traumfrau mit Augen wie Sternenhimmel«, sagte er und fragte sich dabei, was dieses Wiesel namens Nadelzahn wohl von dergleichen nächtlichem Umgang halten mochte. Das Wiesel schien jedoch durchaus nicht überrascht zu sein, sondern sagte mit einer Spur von Resignation in der Stimme: »Das hätte ich eigentlich wissen müssen. Man sagt ja von diesem Stein, daß er vor vielen Jahren einmal einer alten, weisen Frau gehört haben soll, die große Macht über geheime Dinge besaß.«
    »So, sagt man das?« Steinauge versuchte sich zu erinnern, welche Bewandtnis es mit dem Stein hatte. Er war sicher, daß er es einmal gewußt hatte, aber es wollte ihm nicht einfallen. Was sollte das für eine alte Frau gewesen sein? Besonders alt war ihm die Frau, die er im Traum gesehen hatte, nicht vorgekommen. Jedenfalls hatte er nicht auf ihr Alter geachtet, weil sie so über die Maßen schön gewesen war, daß ihm noch jetzt das Herz schneller klopfte, wenn er an sie dachte.
    Steinauge fand mittlerweile, daß sich mit Nadelzahn gut reden ließ. »Hör einmal«, sagte er, »ich würde mich gern noch ein bißchen länger mit dir unterhalten. Wenn du mir schwörst, nicht wegzulaufen und vor allen Dingen meinen Beutel in Ruhe zu lassen, dann gebe ich dich frei.«
    »Das schwöre ich dir bei den Schwänzen meiner Vorfahren, mit denen die Könige ihre Krönungsmäntel schmücken«, sagte Nadelzahn, und das ist wahrhaftig der höchste und heiligste Schwur, den ein Wiesel aussprechen kann. Da ließ Steinauge das Tier aus seiner Hand schlüpfen, worauf es sich erst ein wenig streckte und dann neben seinem Ohr zusammenrollte. Eine Zeitlang war nur zu hören, wie es sein Fell putzte. Dann sagte es: »Jetzt, wo ich nicht mehr in deiner Gewalt bin, will ich dir noch etwas sagen. Du bist freundlich zu mir, obwohl ich das in keiner Weise verdient habe. Wenn du erlaubst, will ich bei dir bleiben, denn du hast nicht nur einen mächtigen Schutz in deinem Stein, sondern bist auch gütiger als jene, die mich zu dir geschickt hat, um dir diesen Stein zu stehlen.«
    »Wer war das?« fragte Steinauge, obwohl er die Antwort schon im voraus ahnte.
    »Ein grünäugiges Falkenweibchen«, sagte das Wiesel dann auch. »Ich war ihm insoweit verpflichtet, als es mir gelegentlich einen Teil seiner Beute überließ, und wollte nicht unhöflich erscheinen, aber ich sehe nun ein, daß es diese Falkenfrau nur darauf abgesehen hatte, meine bescheidene Geschicklichkeit für diesen Diebstahl zu benutzen. Sie scheint sehr begierig darauf zu sein, den Stein zu besitzen, den du in dem Beutel trägst. Ich will künftig darauf achten, daß er dir nicht auf die eine oder andere Art abhanden kommt, während du schläfst. Willst du mich in deinen Dienst nehmen?«
    »Gerne«, sagte Steinauge, »und zwar um so lieber, als ich vorhabe, die Herde zu verlassen und über die Berge zu wandern.« Dieser Gedanke war ihm erst während des Gesprächs mit dem Wiesel gekommen. Seit Einhorn das Regiment über die Herde wieder selbst übernommen hatte, war sich Steinauge ziemlich unnütz vorgekommen. Vielleicht hatte er nur deswegen das Heu eingebracht, um seine Stellung innerhalb der Herde zu beweisen und zu sichern, doch den Sinn dieser Veranstaltung hatten die Tiere ohnehin nicht begriffen. Nun stand auch noch fest, daß dem grünäugigen Falken sein Aufenthaltsort bekannt war, und dieser gierige Vogel würde wohl auch weiterhin versuchen, den Stein in seine Gewalt zu bekommen. Höchste Zeit, sich aus dem Staub zu machen, dachte Steinauge und sagte: »Willst du mich begleiten, Nadelzahn?«
    »Mit Vergnügen«, sagte das Wiesel. »Wenn ich ehrlich sein soll: Deine Ziegen mögen ja höchst ehrenwerte Tiere sein, aber sie stinken so erbärmlich, daß ich keine zweite Nacht in dieser Höhle verbringen möchte.«
    Am Morgen flocht er sich eine große Schultertasche aus Ziegenhaar, von dem ganze Büschel in der Höhle herumlagen, füllte sie mit den letzten Haselnüssen und machte sich auf den Weg. Einhorn zeigte sich nicht überrascht von diesem plötzlichen

Weitere Kostenlose Bücher