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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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mit dir unterhalten können, Kaninchen«, sagte er vor sich hin. »Eigentlich habe ich gar keinen rechten Appetit auf dich.«
    »Magst du kein Kaninchenfleisch?« fragte das Wiesel. »Oder hast du noch nie welches gegessen?«
    »Früher schon, glaube ich«, sagte Steinauge, »aber da verstand ich noch nicht die Sprache der Kaninchen.«
    »Was macht das für einen Unterschied?« sagte das Wiesel. »Außerdem war das ein ziemlich blödes Kaninchen, sonst hätte ich es nicht erwischt. Ein Gespräch mit ihm hätte dich wenig befriedigt.«
    Steinauge hatte inzwischen noch ein paar Nüsse geknackt und kaute angestrengt darauf herum, denn sie waren schon ziemlich hart. Eine davon spuckte er aus, weil sie ranzig schmeckte. Trotzdem sagte er schließlich: »Du siehst ja, daß ich noch etwas zu essen habe.«
    Das Wiesel streifte die ausgespuckte Nuß mit einem Blick, der leichten Ekel verriet. »Was ist das für ein Essen?« sagte es dann. »Erlaube mir die Frage, wie lange du unterwegs zu sein gedenkst.«
    »Bis zum Herbst«, sagte Steinauge.
    »Und wie lange wird dein Vorrat an Nüssen reichen?«
    Steinauge griff in die Tasche und ließ die Nüsse durch die Finger rinnen. »Vielleicht eine Woche«, sagte er dann. »Zumindest, wenn ich sie mir gut einteile.«
    »In einer Woche wirst du also ein Kaninchen oder dergleichen essen müssen«, sagte das Wiesel. »Warum dann nicht gleich?«
    Dieser wieselhaften Logik konnte sich Steinauge nicht entziehen. Er strich noch einmal bedauernd über das Fell des Kaninchens, sagte dann unvermittelt: »Ja, warum nicht gleich!«, holte sein Messer aus der Tasche und begann das Kaninchen abzuhäuten. Er nahm es aus und warf dem Wiesel die Innereien zu, dann suchte er sich dürres Holz zusammen, schlug Feuer, und als sich genügend Glut gesammelt hatte, spießte er den Braten auf einen dürren Ast und begann ihn über der glühenden Asche zu drehen, bis der Saft zischend auf die verkohlten Holzstücke herabtropfte. Der Duft des gerösteten Fleisches weckte in ihm einen wahren Heißhunger, und er zerriß das erst halb gare Tier, aß und aß und hörte nicht auf zu essen, bis er die letzte Faser von den Knochen genagt hatte.
    Seit diesem Abend sorgte Nadelzahn für die tägliche Mahlzeit, und von seinen Nüssen knabberte Steinauge allenfalls ein paar, wenn er unterwegs hungrig wurde. Er war von seinem ersten Lagerplatz aus nach Westen abgebogen und geriet dabei immer höher ins Gebirge, wo die Wälder lichter und die Bäume niedriger und zerzauster waren. An vielen Stellen schaute der Himmel frei von oben herein, und das gefiel Steinauge gar nicht. Es geschah oft, daß wieder diese unbegreifliche Angst in ihm aufstieg, wenn er rasch über kleine Lichtungen von Baum zu Baum huschte und sich dann wieder im Gebüsch verbarg.
    Als er wieder einmal, statt über den offenen Rasen zu gehen, dicht daneben durch verfilztes Unterholz kroch, daß dem Wiesel auf seiner Tasche die Zweige um die Ohren schlugen, äugte es nach oben und sagte: »Hast du Angst, der Falke könnte dich hier entdecken?«
    »Kann sein«, sagte Steinauge. »Ich weiß es nicht genau. Jedenfalls halte ich es unter freiem Himmel nicht aus.«
    »Warum steigst du dann so hoch hinauf ins Gebirge?« wollte das Wiesel wissen.
    »Warum ich so hoch hinauf ins Gebirge steige?« wiederholte Steinauge, ohne stehenzubleiben, und schwieg dann eine Weile. Dann sagte er mit merkwürdig leerer Stimme: »Auch das weiß ich nicht genau. Ich weiß nur, daß ich hinüber muß über diese Mauer auf die andere Seite.«
    »Welche Mauer?« fragte das Wiesel. »Ich sehe weit und breit keine Mauer.« Und als er nicht antwortete, sondern stumm und verbissen weiterstieg, wurde das Wiesel nervös, sprang auf seine Schulter und keifte ihm ins Ohr: »Warum antwortest du nicht? Wo ist hier eine Mauer?«
    Da fuhr Steinauge erschrocken zusammen, starrte das Wiesel verständnislos an und sagte: »Wer redet hier von einer Mauer? Übers Gebirge möchte ich. Muß ich denn immer erklären können, was ich will?«
    An diesem Tag erreichte er die Höhe des Jochs. Hier oben standen über dem niedergedrückten Krüppelholz nur noch einzelne Zirben, dichtbenadelte, dunkelgrüne Pyramiden mit kräftigen Stämmen, denen der Sturm nur wenig anhaben konnte. Steinauge roch den süßen, harzigen Duft ihres Holzes, während er sich gebückt durch das Gewirr zäher Latschenzweige arbeitete. Die Angst lähmte ihn fast, denn auf den spärlichen Zweigen, die dicht über ihm schwankten,

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