Stein und Flöte
zusammenzuzählen und zu ahnen, was wirklich geschehen war. Eines Tages kam er zu mir und sagte:
›Es freut dich wohl, daß die Pferde, die ich dir anvertraut habe, zum Kampf untauglich geworden sind? Bist womöglich du es, der sie verzaubert hat?‹
Ich begann, unter seinem Blick zu zittern. ›Siehst du nicht, Herr‹, sagte ich, ›daß ich darunter genauso zu leiden habe wie du und deine Leute?‹
›Das bißchen Hunger könnte dir deine Rache schon wert sein‹, sagte der Khan. Die Art, wie er bei diesen Worten mit seiner Peitsche spielte, vergrößerte meine Furcht, und ich begann, in meinem Inneren diesen jungen Flöter zu verfluchen, der mir das eingebrockt hatte. Stotternd vor Entsetzen beteuerte ich immer wieder meine Unschuld, doch damit bestärkte ich nur den Verdacht des Khans.
›Die Pferde standen unter deiner Aufsicht‹, sagte er schließlich. ›Auf die eine oder andere Art werde ich schon herausbekommen, was du den Pferden angetan hast.‹
Ich fiel ihm zu Füßen, denn ich wußte nur zu genau, was er mit der einen oder anderen Art meinte. Doch er stieß mich zur Seite, rief zwei seiner Leute herbei und ließ mich vor sein Zelt führen. Dort befahl er ihnen, zwei Lanzen in einigem Abstand in den Boden zu rammen und mich zwischen ihnen an den Daumen aufzuknüpfen. Dann stellte er sich vor mich hin und fragte, ob mir nun eingefallen sei, auf welche Weise die Pferde ihre Kampflust verloren hätten. Es war ein heißer Tag, an dem all dies geschah. Der Schweiß lief mir in die Augen, und meine Arme schmerzten derart, daß ich laut brüllte.
›Ich kann dich nicht verstehen‹, sagte der Khan. ›Sprich deutlicher!‹
Da schrie ich: ›Frag doch diesen Flöter, mit dem du Schach gespielt hast!‹ Als der Khan das hörte, wurde er weiß vor Wut. Er ließ mich losbinden, und ich mußte ihm berichten, was der Flöter am Abend bei den Pferden getan hatte. Als ich damit zu Ende war, flüsterte der Khan vor sich hin: ›Ich hätte es wissen müssen.‹ Dann wendete er sich mir zu und sagte: ›Das alles ist mit deiner Einwilligung geschehen, Sklave, und dafür wirst du büßen. Aber zuvor sollst du noch zuschauen, wie ich mit diesen verdorbenen Pferden verfahren werde.‹ Was ich dann mit ansehen mußte, gehört zum Schrecklichsten, was ich je erlebt habe. Der Khan versammelte alle waffenfähigen Männer vor seinem Zelt, berichtete ihnen, was er eben erfahren hatte, und befahl ihnen dann, ihre Krummschwerter zu ziehen und alle Pferde außer den Ein- und Zweijährigen, die erst nach dem Besuch des Flöters geboren worden waren, auf der Stelle niederzumachen. Mich selbst banden sie vor der Koppel an einen Pfahl, und jedesmal, wenn ich die Augen schloß, weil ich den Anblick nicht mehr ertragen konnte, drückte mir einer der Reiter ein Messer an die Kehle.
Meine armen Pferdchen ahnten nicht, was ihnen bevorstand. Sie liefen fröhlich auf ihre Herren zu, wieherten vergnügt und erwarteten, daß diese ihnen den Hals tätschelten. Doch statt dessen fuhr ihnen ein Krummschwert in den Leib, daß das Blut hervorschoß. Ihr dürft nicht glauben, daß den Reitern dieses Gemetzel Spaß machte. Sie hatten ihre Tiere geliebt, aber sie wagten nicht, sich dem Befehl ihres Herrn zu widersetzen. Den Anblick ihrer Gesichter werde ich nie vergessen: Fahl und verbissen vor ohnmächtigem Zorn starrten die Männer auf ihre verendenden Pferde. Nur zwei wurden verschont, und ich sollte noch erfahren, was der Khan mit ihnen im Sinn hatte.
Als das Morden zu Ende war, rief er: ›Jetzt wissen wir wenigstens, wovon wir bis zum nächsten Frühjahr leben werden. Weidet die Kadaver aus und hängt das Fleisch zum Trocknen an die Zeltstangen!‹ Dann kam er zu mir und sagte: ›Hat dich das Schauspiel befriedigt, Sklave? Nun soll auch mit dir verfahren werden, wie du es verdient hast. Auf einen raschen Tod solltest du jedoch nicht hoffen.‹
Er ließ mir Kleider vom Leib reißen und befahl dann zwei Knechten, mich auszupeitschen, bis keine heile Haut mehr auf meinem Rücken zu sehen sei. Auch diesen Knechten war leid um die Pferde, und so verrichteten sie ihren Auftrag mit Sorgfalt. Irgendwann verlor ich das Bewußtsein und kam erst wieder zu mir, als man mich wie einen Sack über den Rücken eines der verbliebenen Tiere warf. Ein Reiter bestieg das zweite, packte das andere beim Zügel und ritt mit mir hinaus in die Steppe.
Die Sonne brannte noch immer heiß vom Himmel, obwohl es inzwischen schon später Nachmittag war. Wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher