Stein und Flöte
weißer Schnurrbart, und seine wäßrigen, blaßblauen Augen blickten verängstigt. Er hat einen Kopf wie ein Fisch, dachte Steinauge, während die Männer schon an seinem Versteck vorüberritten, und dann hörte er den Bärtigen sagen: »Du brauchst keine Angst zu haben, daß du hier nicht willkommen bist. Leute, die etwas von Pferden verstehen, sind bei uns immer gern gesehen.«
Sobald die Männer außer Hörweite waren, sagte Steinauge: »Ich muß wissen, was das für ein Mann ist. Wir schleichen den beiden nach.«
»Kennst du den alten Fischkopf?« fragte Nadelzahn.
»Kann sein«, sagte Steinauge. »Ich weiß es nicht genau. Aber ich will es herausbekommen.«
Vorsichtig folgten sie den beiden Männern und beobachteten, wie sie am Waldrand ihre Pferde anhielten. »Das ist die Pferdeweide«, sagte der Bärtige. »Dort drüben bei den Tieren sind unsere Leute.« Er rief die Hirten an und winkte ihnen. Daraufhin kamen drei von ihnen über die Wiesen gelaufen und begrüßten den Bärtigen, der wie sein Begleiter inzwischen abgestiegen war.
»Wen hast du da mitgebracht?« fragte einer von ihnen.
»Das ist Wazzek vom Volk der Karpfenköpfe«, sagte der Bärtige. »Wenn ihr noch einen Pferdehirten brauchen könnt, dann ist er der richtige Mann.«
»Seit wann verstehen sich Karpfenköpfe auf Pferde?« fragte einer der Hirten, und seine Miene sagte deutlich, daß er nicht viel von diesen Leuten hielt.
»Das ist möglicherweise eine lange Geschichte«, sagte der Bärtige. »Wenn ihr sie hören wollt, dann sollten wir uns lieber hinsetzen.«
Während die fünf Männer sich im Kreis am Waldrand niederließen, kroch Steinauge näher heran, damit ihm keine Einzelheit der Erzählung entging. Er fand einen günstigen Platz hinter einem dichten Ligusterbusch, der ihn hinreichend verbarg, ohne ihm die Sicht zu verwehren. Der Alte mit dem Fischkopf saß ihm genau gegenüber, und neben ihm hatte der Bärtige Platz genommen, der sich jetzt räusperte und mit seiner Geschichte begann. »Ich hatte eine Botschaft des Erzmeisters zu Arnis Hütten gebracht und war schon wieder auf dem Rückweg, als ich den Alten fand. Er lag bewußtlos am Weg, und als ich seine Kleider öffnete, um zu sehen, ob er verletzt sei, sah ich, daß sein Rücken von Peitschenhieben völlig zerfleischt war. Ich nahm ihn vor mich aufs Pferd und brachte ihn nach Arziak, wo meine Frau ihn so lange pflegte, bis er einigermaßen zu Kräften gekommen war. Aber er wollte dort nicht bleiben. ›Auch hier werden sie mich finden‹, sagte er immer wieder und verlangte, nach einem Ort gebracht zu werden, der abseits der großen Wege liegt. Da er nun, wie er sagte, seit Jahren mit Pferden zu tun gehabt habe, kam ich auf den Gedanken, daß er bei euch bleiben könnte.«
»Wo ist er denn früher Pferdehirt gewesen?« fragte einer der Männer.
»Das weiß ich noch nicht«, sagte der Bärtige. »Er wollte bisher nicht darüber sprechen, aber vielleicht erzählt er es jetzt, wo er sich in Sicherheit fühlen kann.«
Als er das hörte, schüttelte Wazzek langsam den Kopf und sagte: »In Sicherheit werde ich mich nie und nirgends mehr fühlen. Aber hier sieht es so aus, als könnte ich mich für eine Weile ausruhen. Und wenn ihr mich schon aufnehmen wollt, dann sollt ihr auch wissen, mit wem ihr es zu tun habt. In meiner Jugend hatte ich wirklich nicht viel im Sinn mit Pferden; denn ich bin in einem Fischerdorf weit unten am Braunen Fluß aufgewachsen. Eines Tages kamen dann die Beutereiter und schleppten mich zusammen mit vielen anderen jungen Männern und Mädchen hinaus in die Steppe. Seither bin ich ein Sklave des Khans gewesen. Dabei hatte ich noch Glück: Ich wurde auf die Pferdekoppel geschickt und mußte dort den Pferdeknechten zur Hand gehen.
Am Anfang war mir das alles gleichgültig. Tag und Nacht dachte ich nur an das Rauschen des Flusses, an den Schrei der Graureiher in den Uferbäumen und die dunklen Rücken der Fische tief unten im Wasser, wo der Alte Karpfen wohnt. Mit der Zeit fand ich dann Trost in der Zuneigung meiner Pferde. Sie mochten mich, vielleicht, weil ich in meiner Trauer sanft mit ihnen umging, und folgten mir wie Hündchen. So entdeckte ich schließlich, daß auch ich sie mochte, diese struppigen Steppenpferdchen mit den weichen Ramsnasen. Auf solche Weise entstand bei den Beutereitern nach und nach die Meinung, ich verstünde viel von Pferden, und lange Zeit später, als ich schon graue Haare hatte, vertraute der Khan mir die Oberaufsicht
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