Stein und Flöte
mehr, nicht über die kreisend dahinwandernden Sterne über mir und auch nicht darüber, daß die Nacht noch lange nicht zu Ende war, als vor uns am Horizont Bergzüge auftauchten, die blaß im Mondlicht schimmerten, dunkelwolkiges Gebüsch und Bäume. Gleich ging es auch schon bergauf, belaubte Zweige streiften meine Arme, und die Luft roch nach frischem Gras und nach Wasser.
Bald darauf hielt Arni unvermittelt sein Pferd an, stieg ab und hob auch mich herunter. Er ging zu einem Bach, der dort glucksend unter dem Gebüsch dahinrann, und ließ mich aus seinen hohlen Händen das Wasser trinken, das er dort geschöpft hatte. Dann bettete er mich sorgsam auf den weichen Rasen dicht neben dem Weg und sagte: ›Schlaf ein bißchen, Wazzek. Bald wird einer kommen und dich finden.‹ Ehe mir die Augen zufielen, wollte ich ihm noch danken, aber da war er schon ebenso lautlos verschwunden, wie er gekommen war. An dieser Stelle hat mich dann dieser Mann hier aufgelesen.«
Steinauge hatte dem Bericht Wazzeks mit steigender Erregung zugehört und auch bald begriffen, daß hier von ihm die Rede war. Doch es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man etwas darüber erzählt bekommt, was man früher einmal getan haben soll, oder ob man sich selber daran erinnert, und diese Erinnerung wollte sich nicht einstellen. Er versuchte sich die Ereignisse im Lager der Beutereiter auszumalen, doch er fühlte sich dabei wie ein unbeteiligter Zuhörer, dem man einreden will, er sei an den schrecklichen Ereignissen schuld, die man ihm berichtet. Es blieb ihm jetzt auch keine Zeit, seiner Verwirrung Herr zu werden, denn inzwischen führten die Männer ihr Gespräch weiter. »Was meinst du«, fragte der Bärtige, »was die Beutereiter nun tun werden, wo sie keine Pferde mehr haben?«
»Du vergißt ihre Jungtiere«, sagte Wazzek. »Die Zweijährigen sind jetzt schon so weit, daß man damit anfangen kann, sie zuzureiten.«
»Werden auch diese Pferde davonlaufen, wenn sie angreifen sollen?« fragte einer der Hirten.
Wazzek zuckte mit den Schultern und sagte: »Das bezweifle ich. Ich habe Angst vor dem nächsten Frühjahr. Darf ich bei euch bleiben?«
»So lange du willst«, sagte der Hirte. »Von einem Mann, der die Pferde Khan Hunlis gepflegt hat, kann man womöglich noch etwas lernen. Nur diesen Flöter darfst du nicht an die Herde heranlassen, auch bei uns nicht; denn er hat uns genauso betrogen wie dich.«
Wazzek hob abwehrend die Hände. »Ich habe nicht behauptet, daß er mich betrogen hat«, sagte er. »Wahrscheinlich hat er überhaupt nicht bedacht, was dieses Lied, das er den Pferden vorspielte, für Folgen nach sich ziehen könnte. Eigentlich war er ein netter Junge.«
»Netter Junge!« rief der Hirte empört. »Er hat dir ja nur eine Tracht Prügel verschafft, die dir beinahe das Leben gekostet hat. Hat er dir denn vorher gesagt, was er mit deinen Pferden anzustellen gedenkt?« und als Wazzek den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Siehst du! Genauso hat er es mit uns gemacht. Als er zum ersten Mal nach Arziak kam, hat er uns mit seinem Gedudel so den Kopf verwirrt, daß wir uns ohne nachzudenken in die Hände von Arnis Leuten begeben haben. Erst später haben wir dann erfahren, daß Höni ihn zu uns geschickt hatte, um uns gefügig zu machen. Inzwischen gibt es weit und breit keine andren Händler mehr als Arnis Leute, und unsere Goldschmiede müssen zufrieden sein mit den Preisen, die sie uns bieten. Ich sage dir: wenn sich diese höflichen Schwätzer auch die Zöpfe abgeschnitten haben, sie sind doch allesamt die gleichen Räuber geblieben wie ihre Vettern draußen in der Steppe.«
»So etwas solltest du nicht sagen«, meinte Wazzek. »Auch Arni war einer von den Beutereitern, und er hat sich nicht nur jetzt meiner angenommen, woher auch immer er gekommen sein mag; er war früher schon stets freundlich zu meinen Leuten am Braunen Fluß und hat sie vor seinem eigenen Bruder in Schutz genommen. Hatte Höni nicht im Sinn, seinem Weg zu folgen, als er zusammen mit vielen anderen die Horde verließ und sich bei Arnis Hütte ansiedelte?«
»Als ich anfangs von diesem Ereignis hörte, glaubte ich das auch«, sagte der Bärtige. »Mir war zumute, als ginge ein Traum in Erfüllung, den ich immer wieder geträumt hatte, so unglaublich erschien es mir, daß Beutereiter zu friedlichen Menschen werden sollten. Ob Höni damals im Sinn hatte, wirklich diesen Weg zu gehen, weiß ich nicht; aber jetzt hat seine Tochter das Regiment übernommen, und
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