Stein und Flöte
nicht mehr gelacht hatten. Jetzt brach endlich mit einem gewaltigen Blitz und unmittelbar darauf folgendem Donnerschlag das Gewitter los: Die Leute zerstreuten sich rasch und rannten zu ihren Häusern, während schon die ersten Tropfen fielen. Nur Döli ließ sich Zeit. Er stand noch unschlüssig auf dem Platz, als schon der Regen niederzurauschen begann, und kam dann herüber zum Haus der Erzmeisterin. Unter dem Vordach blieb er bei Arnilukka stehen und sagte: »Ich hatte völlig vergessen, wie das war, als du mir zum erstenmal das Flöten beigebracht hast, damals unter der Weide am Fluß, als ich noch ein kleiner Junge war und Angst hatte vor der Enge der Täler und der Dunkelheit der Wälder. Jetzt weiß ich es wieder und hoffe, daß ich es nie wieder vergessen werde.«
Arnilukka schaute ihm in die Augen und lächelte. »Das sind Dinge«, sagte sie, »an die man sich von selbst erinnern muß. Es nützt nicht viel, wenn sie einem jemand anderes ins Gedächtnis zurückruft.«
Lauscher entsann sich jetzt nur noch der witzigen Art, in der Döli sein Lied vorgetragen hatte. »Du wirst doch wohl jetzt nicht damit aufhören, ein Lustiger Flöter zu sein?« sagte er.
Da lachte Döli und sagte: »Hat’s dir also doch ein bißchen gefallen? Es würde meiner Natur zuwiderlaufen, anders zu spielen, aber ich muß wohl erst damit anfangen, mir meinen Namen wirklich zu verdienen, denn gar so lustig sind meine Lieder bisher gar nicht gewesen, wie mir scheint. Dein anderer Schüler hat dir da mehr Ehre eingebracht. Ich hoffe, du bleibst noch eine Weile in Arziak, damit ich meine Lehrzeit endlich abschließen kann.«
»Soweit sich dergleichen überhaupt abschließen läßt, will ich das gern versuchen«, sagte Lauscher.
III
Auf diese Weise hatte sich Lauscher mit der Erledigung der einen Aufgabe gleich wieder eine neue eingehandelt, aber so geht es einem ja immer, daß man mit seinen Geschäften auf dieser Welt nie zu Ende kommt. Erstaunlicherweise ließ sich Döli jetzt all die Liedchen vorspielen, die ihn früher so irritiert hatten; besonders die lustigen hatten es ihm angetan, und er verstand sie bald mit solchem Witz vorzutragen, daß jetzt ihm die Kinder nachzulaufen begannen.
Auch Schneefink war noch in Arziak geblieben, allerdings spielte er nur selten und dann auf seiner Holzflöte, kleine Improvisationen, die wie herausgelöste Muster aus dem vielfarbigen Teppich von Tönen klangen, den er bei seinem ersten Auftreten ausgebreitet hatte. Obgleich das eine völlig andere Musik war als jene des Lustigen Flöters, schienen beide einander gut zu verstehen und die Eigenart des anderen zu schätzen.
Als die drei Flöter eines Abends mit Belarni und Arnilukka in der Stube beieinander saßen, erzählte Schneefink, wie es ihm auf seiner Reise ergangen war. Erst dabei stellte sich heraus, daß er durchaus nicht zufällig nach Arziak zurückgekommen war. Wie er vorgehabt hatte, war er zunächst eine längere Zeit bei den Fischern am Braunen Fluß geblieben. Später war er dann weiter flußabwärts geritten bis nach Falkenor, hatte als Gast im Großen Haus beim Meister der Töne gelebt und mancherlei von ihm gelernt, etwa die Kunst, wie man aus fünf Tönen ein Tor errichtet, durch das man eintritt in die unendlich vielfältige Welt dessen, was man von sich selbst nicht weiß. »Man erfährt dabei ungeheuerliche Dinge«, sagte er. »Schreckliche Abgründe tun sich da auf, aber später lernt man zu erkennen, daß dort auch Kräfte schlummern, die einem helfen, die Leere dieser Abgründe bis an den Rand aufzufüllen mit Bildern und Klängen, die einem eine Vorahnung davon geben, was Leben wirklich bedeutet.«
»Als ich in meiner Jugend dort war«, sagte Lauscher, »sind mir diese fünftönigen Melodien immer zerbrochen.«
»Das braucht dich nicht zu verwundern«, sagte Schneefink lächelnd. »Du warst nur kurze Zeit im Großen Haus von Falkenor, vor allem aber warst du in einer bestimmten Absicht dort, die dich ständig vom Eigentlichen abgelenkt hat. Ich habe neun Jahre dort verbracht, und erst im letzten ist es mir gelungen, eine solche Melodie aus fünf Tönen zu spielen.«
»Hast du denn auch von Narzias Falkenschmuck berichtet?« fragte Lauscher.
»Ja«, sagte Schneefink. »Gleich zu Anfang, als der Großmagier mich empfing, habe ich ihm davon erzählt. Er war der zweite Nachfolger jenes Mannes, dem du damals in diesem Amt begegnet bist, aber er wußte genau über den Ring und die Kette Bescheid, obwohl zu dieser Zeit
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