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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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vortrug, war es drückend heiß geworden, und im Westen türmten sich schwarze Gewitterwolken, doch die Leute achteten kaum darauf, sondern sammelten sich um den Flöter, und bald mußte er kleinere Zwischenspiele einfügen, nicht so sehr, um eine neue Strophe vorzubereiten, als um die Zeit zu überbrücken, bis sich das aufbrandende Gelächter so weit gelegt hatte, daß er sich mit seinem Gesang wieder verständlich machen konnte. Selbst Lauscher wurde von dem Witz dieses Lustigen Flöters unversehens zum Lachen gebracht, bis ihm bewußt wurde, worüber er hier lachte, und dann packte ihn die Wut mit doppelter Gewalt, und das weniger deshalb, weil dieser Spottvogel sein Lied der Lächerlichkeit preisgab oder weil er selbst bei diesen Fischerleuten gewesen war und sich ihrer fröhlichen braunen Augen erinnerte, von denen man sagte, daß sie den Augen Schön Aglas glichen. Was ihn so wütend machte, war die Infamie, mit der es Döli darauf anlegte, alles zu entzaubern und zu zerstören, was dem Leben einen Sinn gab: Trauer und Freude, Vertrauen und Liebe, all das wurde hinweggespült von brüllendem Gelächter, und zurück blieb nichts als Bosheit, Hinterlist und Geldgier, und dieser heimtückische Flöter wußte das so gut in seinen Witz zu verpacken, daß er damit sogar ihn selbst übertölpelt hatte. In Grund und Boden muß man ihn spielen, diesen grinsenden Widerling, schoß es ihm durch den Kopf, während schon die roten Räder der Wut in seinem Hirn wühlten. Er sprang auf und setzte seine Flöte an den Mund, doch in den ersten Ton, den er über den Platz schon eher hinwegpfiff als -flötete, mischte sich ein zweiter, weit tragender Flötenklang, der ihn zwang, sein Instrument abzusetzen.
    Zunächst wußte keiner zu sagen, woher dieser neue Flötenton kam, bis dann am anderen Ende des Platzes ein hagerer, ein wenig schlaksiger Spielmann mit weißblondem Haar zwischen den Häusern hervortrat und langsam auf die Leute zuschritt, die sich um Döli drängten. Er blies auf einer silbernen Flöte, doch was das für eine Musik war, läßt sich kaum beschreiben. Lauscher war zumute wie damals nach seiner atemlosen, angstgehetzten Flucht durch das Dickicht der Wälder von Barleboog, als der knüppelschwingende Stumme seine Kreise um ihn ritt und dann plötzlich der Sanfte Flöter aus dem Gebüsch hervorgetänzelt war und auf dieser silbernen Flöte gespielt hatte. Seine Wut war wie weggeblasen, ja er erinnerte sich nur noch mit Verwunderung, daß er hier in einen Wettstreit verstrickt gewesen war, dessen Sinn er schon nicht mehr begreifen konnte unter der Musik dieses Flöters, der es überhaupt nicht darauf anlegte, mit seiner Kunst zu prunken oder gar einen anderen in Grund und Boden zu spielen. Immer neue Ordnungen von Tönen entfalteten sich da wie Blumen, und wenn man meinte, nun sei das Gebäude vollendet, dann zeigte sich, daß dies nur eine Knospe gewesen war, aus der schon wieder neue Gebilde hervorbrachen und noch weitere, ungeahnte Möglichkeiten dieser Vielfalt verhießen. Es war das Leben selbst, was dieser Flöter spielte, Heiterkeit und Ernst, Trauer und Freude, Verzweiflung und Hoffnung, Haß und Liebe, all das in einem einzigen, untrennbar ineinander verknüpften Gewebe, daß man zugleich weinen und lachen wollte vor der Schönheit dieser Musik, die Lauscher den Glauben daran zurückbrachte, daß dies alles keine zusammengeträumten Einbildungen waren, sondern Wirklichkeiten, die er erst jetzt allmählich zu begreifen begann.
    Schließlich beendete dieser Flöter sein Lied auf eine Weise, die den Eindruck hinterließ, daß dies noch lange nicht alles sei, was hier zu hören gewesen war, sondern nur eine Vorahnung dessen, was er eigentlich hatte spielen wollen. Fast alle, die sich auf dem Platz befunden hatten, standen jetzt im Kreis um ihn, sogar Dölis letzte Reiterjunker. Nur dieser selbst war noch beiseite geblieben, aber er stand dort eher wie einer, der sich nicht näher zu kommen getraut, und jeder Zug von Aufsässigkeit war aus seiner Haltung gewichen.
    Auch Lauscher war diesem Menschenauflauf ferngeblieben, doch das hatte, wie man weiß, andere Gründe. Er hatte alle Angst und Wut vergessen und fühlte sich leicht wie ein Vogel. Arnilukka stand noch immer neben ihm. »Schneefink ist zurückgekommen«, sagte sie jetzt, »und er kam genau zur rechten Zeit.«
    »Ja«, sagte Lauscher. »Was waren wir doch für Narren!« Sie schauten einander in die Augen und lachten so herzlich, wie sie seit langem

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