Stein und Flöte
keiner der Magier mehr am Leben war, die du damals dort getroffen hast. Ich soll dir in seinem Namen danken, daß du dich dieser Dinge auf die richtige Weise bedient und sie danach so gut verwahrt hast. Und er bat mich, falls ich dich je wieder treffe, dir eine Botschaft auszurichten. ›Sage ihm‹, trug er mir auf, ›wenn einer in die Irre geht, dann heißt das noch lange nicht, daß er nicht auf dem richtigen Weg ist.‹ Mir erschien diese Botschaft damals ziemlich absurd, aber später begann ich ihren Sinn allmählich zu begreifen.«
»Dann kann ich ja noch Hoffnung hegen«, sagte Lauscher, »daß ich sie eines Tages auch verstehen werde; denn vorderhand weiß ich nur, daß ich ständig in die Irre gegangen bin.«
Schneefink ließ das auf sich beruhen und erzählte, wie er später noch weiter nach Süden gezogen war und allerlei seltsame Erlebnisse gehabt hatte, die jedoch nicht mehr zu dieser Geschichte gehören. »Im vergangenen Jahr«, berichtete er, »bin ich dann wieder nach Norden geritten. Den Winter habe ich bei den Fischern am Braunen Fluß verbracht und bin auch noch bis in den Sommer hinein bei ihnen geblieben. Eines Tages kam dann ein Mann ins Dorf geritten und fragte, ob man Arbeit für einen Fischerknecht habe. Er sah mir von Anfang an nicht aus wie ein Fischer, denn er saß im Sattel wie einer, der seit seiner Kindheit mit Pferden umgegangen ist. Zunächst hielt ich ihn seinem Aussehen nach für einen versprengten Beutereiter, auch wenn er keine Schläfenzöpfe trug und nicht so gekleidet war; doch dergleichen läßt sich ja leicht ändern. Obwohl er nicht sagen wollte, woher er kam und warum er allein unterwegs war, nahmen ihn die Fischer auf und gaben ihm Arbeit. Erst als ich eines Abends ein bißchen auf meiner Flöte gespielt hatte, kam er zu mir und sagte mir seinen Namen. Auf diese Weise bin ich eurem Sohn Azzo begegnet, und als ich von ihm erfahren hatte, was in Arziak geschehen war, schien mir, daß hier vielleicht ein Flöter gebraucht werden könnte, und ich machte mich gleich am nächsten Tag auf den Weg.«
Als Lauscher später in seiner Schlafkammer lag, dachte er noch immer über Schneefinks Erzählung nach, vor allem auch über die Botschaft, die ihm der Großmagier, der ihm vermutlich noch nie begegnet war, hatte ausrichten lassen. Was wußte dieser Mann von ihm? Nur die Dinge, die ihm sein Vorgänger vielleicht weitergegeben hatte, jene Geschichte von einem Jungen, der die Macht seiner Flöte erproben wollte und dabei auf Abwege zu geraten drohte? Hatte ihm das genügt, um dem alten Mann, der früher einmal dieser Junge gewesen war, diese Botschaft zu übermitteln? Oder hatte man im Großen Haus von Falkenor schon im voraus gewußt, welche Umwege dieser Junge weiterhin noch einschlagen würde? Und was sollte dann die zweite Hälfte dieses Satzes bedeuten? Lauscher wußte viel zu genau, was er in seinem Leben alles hätte anders anfangen sollen, als daß er in dem Bewußtsein hätte leben können, auf dem richtigen Weg zu sein. Er hatte es nicht einmal geschafft, seinen lustigen Schüler zur Besinnung zu bringen. Das war erst Schneefink geglückt, nachdem er offenbar in großer Eile den langen Weg vom Braunen Fluß und übers Gebirge nach Arziak heraufgeritten war. Ließ das nicht darauf schließen, daß er ihm nicht die Kraft zugetraut hatte, diese Aufgabe zu bewältigen?
Eigentlich war er sich schon in den vergangenen Tagen immer überflüssiger vorgekommen. Seine beiden Schüler behandelten ihn zwar mit jener freundlichen Ehrerbietung, die ein Meister seinem alten Lehrer entgegenbringt, bei dem er die ersten Gehversuche in seiner Kunst unternommen hat, doch er wußte nicht, was sie jetzt von ihm noch hätten lernen sollen. Sie überraschten ihn immer wieder mit neuen Einfällen und bewiesen ihm damit, ohne daß sie es darauf angelegt hätten, jeder auf seine Art eine solch eigenständige Fertigkeit, daß ihm nur noch die Rolle eines bewundernden Zuhörers blieb und nicht jene eines Lehrers, der sie zu noch höheren Leistungen hätte führen können.
»Was soll ich hier noch, Zirbel?« sagte er. »Die Jungen kommen auch ohne mich aus.«
Der Zirbel kicherte hölzern, als er das hörte, und sagte: »Sie machen dich wohl neidisch mit ihren Flötenkünsten?«
»Ich weiß nicht, ob man das Neid nennen kann, was ich empfinde«, sagte Lauscher. »Jedenfalls komme ich mir vor wie ein alter Dorfmusikant, dem zwei durchreisende Spielleute zeigen, was er mit seinem Instrument alles
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