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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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deutlicher vor seine Augen trat: der vor den fernen, blaudunstigen Waldhängen ausgebreitete See, auf dessen leicht bewegter Oberfläche sich flimmernd die Sonne spiegelte, nach dem Ufer zu emporsprießende, mit schräg abgewinkelt herabhängenden schmalen Blattfahnen geschmückte Schilfhalme, die sich zu einem dichten, dunkelgrünen Gürtel zusammenschlossen, und dazwischen ein offener Durchlaß zum Wasser, in dem ein Plankensteg auf algenbehangenen Pfosten in den See hinauslief, und im Schatten des Holzwerks huschten winzige Fische über den kiesigen Grund, deren Schuppen bei jeder Drehung perlmutterfarben aufschimmerten. Dann verdüsterte sich der eben noch so heiter ausgespannte Himmel, Nacht fiel herein, und zugleich näherte sich vom Land her ein Zug klagender Weiber in schwarzen Gewändern und auch von einigen Männern, die mit verbissenen Mienen ein gleichfalls schwarzgekleidetes Mädchen vor sich hertrieben. Er sah das Gesicht dieses Mädchens vor sich, kalkweiß wie das seiner Tochter, als sie sterbend in Arnilukkas Schoß gelegen hatte, aber die Augen dieses Mädchens hier blickten starr vor Entsetzen, und ihre Wangen waren naß von Tränen, und dann stießen die Männer das Mädchen in den See, immer weiter und tiefer, bis nur Kopf und Brust noch aus dem Wasser ragten, das nicht nur um die Körper dieser Menschen aufgestört schwappte, sondern zugleich von unten her zu brodeln begann, bis die Oberfläche weithin zu kochen schien, und aus diesem brausenden Schwall hob sich das gewaltige Haupt des Grünen, umzottelt von fischigen Barteln, und seine wabbeligen Schwimmhände packten die Schreiende und zogen sie auf den Grund. Das Wasser glättete sich sehr rasch, nur ein paar Wellenringe umzirkelten noch die Stelle, an der beide untergetaucht waren.
    Wieder lag der See ruhig und schimmerte jetzt rötlich unter einer tief stehenden Sonne. Weit draußen sah man einen Kahn liegen, in dem Fischer damit beschäftigt waren, ihre Netze einzuholen, und die Silhouette ihres Kahns wie auch jede ihrer Bewegungen spiegelten sich unter ihnen im Wasser wider. Dann legten sie ihre Riemen aus und ruderten an Land, und während der Kahn samt seinem Gegenbild darunter wie ein Krebs langsam auf das Ufer zukroch, berührte die blutrote Sonne schon den See, warf noch eine lange, glutflackernde Lichtbahn über das Wasser und tauchte dann unaufhaltsam unter den Horizont.
    Und schon näherte sich wieder dieser Zug der klagenden, schwarzgewandeten Weiber und jener Männer, doch diesmal brauchten sie ihr Opfer nicht anzutreiben; denn ihnen weit voraus tanzte ein Mädchen in schneeweißem Kleid über den Weg zum Wasser, und das Gesicht dieses Mädchens war fröhlich, seine braunen Augen blitzten vor Vergnügen, und als es ins Wasser hineinrannte, lachte es laut auf und sang:
    Grüner,
    Wassermann,
    der uns Fische bringen kann,
    lasse doch dein Trauern
    nicht mehr länger dauern!
    Wassermann vom grünen Grund,
    küß Schön Agla auf den Mund!
    Und wieder begann das Wasser zu kochen und zu brodeln, wieder hob sich das feucht glänzende, umbartelte Haupt des Grünen aus der Flut, doch das Mädchen schrie nicht auf, sondern packte den Kopf dieses Wasserwesens rechts und links bei den strähnigen Zotteln und küßte ihn mitten auf den Mund. Da ließ sie der Grüne wieder frei, sprang mit einem ungeheuren Schwung hoch aus dem See, und als er wieder in das Wasser zurückplatschte, schoß eine Fontäne zum Himmel, als wolle der ganze weite See bersten. Und während Schön Agla noch immer lachte, schwamm der Grüne weit hinaus und sang:
    Agla,
    schönes Kind,
    lang war ich vor Trauer blind,
    doch jetzt wird dein Lachen
    froh mich wieder machen,
    und nach Jammer, Ach und Weh
    steigt nun Leben aus dem See.
    Agla,
    schönes Kind,
    all die deine Kinder sind
    werde ich ernähren,
    ihren Fang vermehren.
    Deine Liebe und dein Kuß
    machen, daß ich singen muß.
    Und so sang er noch lange weiter durch die Nacht, nur konnte man seine Worte nicht mehr verstehen, weil er schon so weit hinausgeschwommen war und jetzt wohl auch von der Schönheit seiner grünen, flutenden Welt sang, die nur Wasserwesen ganz begreifen können. Mit dieser auf merkwürdige Weise ins Ungreifbare hinausschwebenden Melodie schloß Lauscher sein Spiel und setzte die Flöte ab.
    Seine Zuhörer, vor allem jene, die von ihm bisher nicht viel mehr als seine Liedchen vernommen hatten, waren auf ein solch kunstvolles Spiel kaum gefaßt gewesen. Hingerissen hatten sie dieser Ballade

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