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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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hätte anfangen können; doch inzwischen sind meine Finger zu steif geworden, und ich spüre immer deutlicher die Grenzen meiner Vorstellungskraft. Die beiden haben mich überholt mit ihrer Kunst, und ich bin hoffnungslos hinter ihnen zurückgeblieben.«
    »Hoffnungslos?« sagte der Zirbel, und es war seiner knarrenden Stimme anzumerken, daß er dieses Wort zutiefst verabscheute. »Hast du denn vergessen, daß sie deine Schüler waren und ohne deine Hilfe ihre Meisterschaft nie erreicht hätten?«
    »Was habe ich ihnen denn schon beigebracht?« sagte Lauscher. »Ein paar Fingerübungen und Läufe. Das, worauf es eigentlich ankommt, die Kühnheit der Vorstellung, den Witz der Gedanken, all das haben sie aus sich selbst.«
    »Nur könnten sie es nie zum Ausdruck bringen, wenn du sie nicht die strenge Disziplin des Spiels gelehrt hättest«, sagte der Zirbel. »Sollte es dich nicht freuen, daß jeder auf seine Art ein großer Künstler geworden ist?«
    »Natürlich freut mich das«, sagte Lauscher, »aber ich bin auch traurig, daß ich mit ihnen nicht mehr Schritt halten kann. Mit meinem Verdienst als Lehrer wird es dann wohl auch nicht so weit her sein.«
    Jetzt wurde der Zirbel ernstlich ungehalten. In seinem hölzernen Leib knackte es, als wolle er sich noch enger zusammenziehen, und er sagte: »Muß man dir denn alles erst kleinweise ins Hirn hämmern, du begriffsstutziger Tropf? Was kann denn ein Lehrer schon taugen, dem seine Schüler nicht über den Kopf wachsen? Gerade darin muß doch seine Hoffnung liegen, daß sie dem vollkommenen Spiel wieder ein Stück näher kommen, das er selbst nie erreicht hat und das niemand auf dieser Welt je erreichen wird, weil er dann nicht mehr wüßte, was er mit seinem Leben noch weiter anfangen soll. Sei doch zufrieden damit, daß du diese beiden Burschen auf den Weg gebracht hast, statt nur auf das zu starren, was du selber nicht erreichen konntest! Es ist schon eine Last mit euch Menschen! Immer treibt es euch weiter, weil ihr meint, ihr müßtet euch das aus eigener Kraft zusammenraffen, was man nur geschenkt bekommen kann.«
    Lauscher wurde dennoch von seiner Unruhe weitergetrieben, wenn auch nicht mehr so weit hinaus in die Fremde. Aber es drängte ihn jetzt doch zurück ins Flachtal, damit er in der Waldhütte endlich wieder ein bißchen an seiner Drechselbank werkeln konnte. Bevor er sich jedoch auf den Weg machte, wollte er seine Enkelin Rikka sehen, der Urla ihren Stein vermacht hatte, und er bat Arnilukka, mit ihm hinüber zur Schmiede zu gehen, damit ihn unter offenem Himmel nicht wieder die Angst überfiel.
    So führte Arnilukka den alten Flöter über den weiten Platz, und unter der Berührung ihrer Hand und dem Blick ihrer Augen vergaß er fast die Beklemmung, die sich bei den ersten Schritten wieder auf sein Herz gelegt hatte. Er dachte daran, wie seine Tochter Urla hier gestorben war, und es schien ihm jetzt, daß sie damit die Verheißung des Steins erfüllt hatte; denn alles, was seither an dieser selben Stelle geschehen war, hatte sich inzwischen als eine Antwort herausgestellt auf ihre Sehnsucht nach Frieden und Liebe, die sie auf den Platz zu den streitenden Brüdern hinausgetrieben hatte.
    Der Schmied empfing sie unter der Tür, und Lauscher sah, daß er Arnis Stein in dem silbernen Gitterwerk am Hals trug. Als der Schmied seinen Blick bemerkte, sagte er fast entschuldigend: »Ich wußte keinen besseren Ort, wo ich ihn für Rikka aufbewahren könnte. Und seit ich ihn auf der Brust spüre, ist mir zumute, als sei Urla noch bei uns.« Er lächelte, als er das sagte, und Lauscher betrachtete mit Erstaunen diesen ungeschlachten Mann, der damals wie ein Tobsüchtiger auf Arnizzo zugesprungen war, um ihn zu erschlagen, und in dessen Stimme jetzt so viel Sanftmut mitschwang. »Kommt herein und seid meine Gäste!« sagte der Schmied. »Die Buben spielen irgendwo draußen, aber Rikka schläft in der Wiege, in der schon ihre Mutter gelegen hat.«
    Zuerst bat sie der Schmied zu Tisch. Während eine Magd die Speisen auftrug, schenkte er selbst den Wein in die Becher und setzte sich dann zu den Gästen. Beim Essen sprachen sie, wie es Brauch war, zunächst nur über belanglose Dinge, doch man weiß ja nie im voraus, ob man dabei nicht unversehens die dünne Haut des Oberflächlichen durchbricht und in Bereiche gerät, die alles andere als belanglos sind. So ließ sich etwa der Schmied von Lauscher erklären, wie das mit dem Drechseln vor sich gehe. »Eine merkwürdige

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