Steinbock-Spiele
sich, um einen einzigen, unerbittlichen Schild zu bilden. Wenn das Meer ganz gefriert, wird das Schiff zerdrückt. Und jetzt gefriert es. Das Schiff kommt kaum noch voran. Die Segel blähen sich nutzlos und zerren an ihren Leinen. Der Wind macht eine Leier aus der Takelage, mit flirrenden, singenden, eisverkrusteten Tauen. Der Rumpf knarrt wie ein alter Mann; der Zugriff durch das Eis ist hart. Die Planken geben nach. Das Ende ist nah. Sie werden alle zugrunde gehen. Sie werden alle zugrunde gehen. Noelle tritt aus ihrer Kabine, geht hinauf, umklammert die Reling, schwankt, betet, fragt sich, wann die Faust des Windes das steife, gefrorene Tuch der Segel durchstoßen wird. Nichts kann sie retten. Aber da! Ja, ja! Am Himmel ein Leuchten! Yvonne, Yvonne! Sie kommt. Sie schwebt wie eine Göttin am schwarzen, sternenbesetzten Himmel. Sanftes, goldenes Licht entströmt ihr. Sie lächelt, und ihr Lächeln taut das Meer auf. Das Eis erbarmt sich. Die Luft wird mild. Das Schiff ist befreit. Es segelt ungehindert weiter, den duftenden Tropen entgegen.
Am späten Nachmittag gleitet Noelle lautlos, spukartig in den Kontrollraum, wo der Jahres-Kapitän an der Arbeit ist; sie wirkt so erschöpft und angespannt, daß sie beinahe durchsichtig erscheint; sie macht einen ungewöhnlich verwundbaren Eindruck, so, als könne ein lautes Geräusch sie zerbrechen lassen. Sie hat die Antwort auf die Übertragung am Vormittag für den Jahres-Kapitän gebracht. Er greift nach dem kleinen, durchsichtigen Datenwürfel, auf dem sie ihr letztes Gespräch mit ihrer Schwester aufgezeichnet hat. Während Yvonne mit ihren Gedanken spricht, wiederholt Noelle die Nachricht laut auf eine Sensorscheibe, und sie wird auf dem Würfel festgehalten. Er fragt sich, warum sie so bleich und matt wirkt.
»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragt er. Sie sagt ihm, daß sie Schwierigkeiten gehabt hat, die Nachricht zu empfangen; das Signal von der Erde ist seltsam undeutlich gewesen. Das beunruhigt sie.
»Wie atmosphärische Störungen«, sagt sie.
»Geistigatmosphärische Störungen?«
Sie ist verwirrt. Yvonnes Ton ist immer rein, kristallen, völlig unverzerrt. Noelle hat so etwas vorher noch nie erlebt. »Vielleicht sind Sie müde gewesen«, meint er. »Oder sie.« Er schiebt den Würfel in den Abspielschlitz, und Neolles Stimme tönt aus den Lautsprechern. Sie klingt fremd, gepreßt und unsicher; sie verspricht sich oft und bittet Yvonne häufig um Wiederholung. Die Botschaft, soweit er sie verstehen kann, enthält die üblichen harmlosen Dinge, zusammengefaßte Nachrichten von der Heimatwelt – Politik, Sport, das globale Wetter, Bemerkungen über Kunst und Wissenschaft, besondere Grüße für drei oder vier Mitglieder der Expedition, allgemeine gute Wünsche – alles leicht, seicht, freundlich. Die Störungen beunruhigen ihn. Was ist, wenn die telepathische Verbindung versagt? Was ist, wenn sie den Kontakt mit der Erde ganz verlieren? Er fragt sich, warum ihn das so bedrückt. Das Schiff ist autark; es braucht keine Lenkung von der Erde, um richtig zu funktionieren, und ebensowenig müssen die Reisenden wirklich tägliche Informationen über Ereignisse auf dem Mutterplaneten haben. Warum dann erschrecken, wenn Stille eintritt? Warum nicht die Tatsache akzeptieren, daß sie in keiner Weise mehr erdgebunden sind, daß sie praktisch eine neue Gattung geworden sind, schneller als das Licht unterwegs zu den Sternen? Nein. Es macht ihm etwas aus. Die Verbindung spielt eine Rolle. Er entscheidet, daß es mit dem zusammenhängt, was sie in Beziehung auf das tiefe pulsierende Grau außerhalb des Schiffes erfahren, diesem Austausch der Energien, diesem wachsenden Gefühl universellen Zusammenhangs. Sie machen jeden Tag Entdeckungen, keine astronomischen, so ndern – nun, geistige –, und wie schade, denkt der Jahres-Kapitän, wenn nichts davon je denen mitgeteilt werden könnte, die zurückgeblieben sind. Wir müssen die Verbindung aufrechterhalten.
»Vielleicht sollten wir Ihnen und Yvonne ein paar Tage Ruhe gönnen«, sagt er.
Sie betrachten mich als eine Art Nonne, weil ich blind und etwas Besonderes bin. Das ist mir verhaßt, aber ich kann nichts tun, um es zu ändern. Ich bin, was sie glauben, daß ich bin. Ich liege wach und stelle mir vor, wie Männer meinen Körper berühren. Der Jahres-Kapitän steht vor mir. Ich sehe deutlich sein Gesicht, die Haut gerötet und schweißbedeckt, die Augen funkelnd. Er streichelt meine Brüste. Er preßt die Lippen auf
Weitere Kostenlose Bücher