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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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geschickter Spieler ist und sie zum erstenmal spielt.
    Die anderen betrachten ihre überraschende Fähigkeit mit Skepsis.
    »Natürlich spielt sie gut«, murmelt Heinz. »Sie liest Ihre Gedanken, nicht? Sie kann das Brett durch Ihre Augen sehen, und sie weiß, was Sie planen.«
    »Das einzige Gehirn, das ihr offensteht, ist das ihrer Schwester«, sagt der Jahres-Kapitän heftig.
    »Woher nehmen Sie die Gewißheit, daß sie die Wahrheit sagt?«
    Der Jahres-Kapitän zieht die Brauen zusammen.
    »Spielen Sie selbst mit ihr. Sie werden sehen, ob es Geschicklichkeit oder Gedankenlesen ist.«
    Heinz macht ein mürrisches Gesicht und erklärt sich einverstanden. An diesem Abend fordert er Noelle heraus; später kommt er beschämt zum Jahres-Kapitän.
    »Sie spielt gut. Sie hätte mich beinahe geschlagen, und sie hat ehrlich gespielt.«
    Der Jahres-Kapitän spielt ein zweites Mal mit ihr. Sie sitzt beinahe regungslos, die Augen geschlossen, die Lippen zusammengepreßt, und nennt die Koordinaten ihrer Züge mit ruhiger, monotoner Stimme, wie ein Automatenspieler. Sie braucht selten lang, um sich für einen Zug zu entscheiden, und sie macht keine Fehler, die zurückgenommen werden müssen. Ihr Vermögen, Spielstrukturen zu erfinden, ist erstaunlich gewachsen; sie schneidet ihn beinahe von der Mitte ab, aber er reißt die Initiative wieder an sich und erringt einen knappen Sieg. Danach verliert sie noch einmal gegen Heinz, aber wieder haben sich ihre Fähigkeiten gesteigert, und am Abend schlägt sie Tschiang, einen geachteten Spieler. Nun wird sie unbesiegbar. Sie spielt zwei-, dreimal am Tag, triumphiert über Heinz, Sylvia, den Jahres-Kapitän und Leon; Go ist etwas Enormes für sie geworden, viel mehr als ein bloßes Spiel, ein schlichtes Kräftemessen; sie konzentriert ihre Energie so stark auf das Brett, daß ihr Spiel die Stufe einer religiösen Disziplin erlangt, einer Art Meditation. Am vierten Tag schlägt sie Roy, den Meister des Schiffes, mit solcher Überlegenheit, daß alle wie geblendet sind. Roy kann von nichts anderem mehr sprechen. Er verlangt Revanche und wird wieder besiegt.
    Als das Schiff von der Erde abhob, fragte Noelle sich, ob sie wirklich fähig sein würde, durch die Weiten des interstellaren Raums Kontakt mit Yvonne zu halten. Sie hatte nichts als den Glauben, ihre Meinung, die Kraft, die ihre Gehirne verband, werde von der Entfernung in keiner Weise beeinflußt, sei richtig. Sie hatten oft ohne Schwierigkeiten über den ganzen Planeten hinweg miteinander gesprochen, ja, aber würde das auch noch so einfach sein, wenn eine halbe Galaxis sie trennte? Während der ersten Stunden des Fluges hielten Yvonne und sie nahezu ununterbrochen ihre Verbindung aufrecht, und das Signal blieb klar und scharf, ohne eine wahrnehmbare Abschwächung des Empfangs, als das Schiff hinausraste. Vorbei an der Mondbahn, vorbei an der Marke der einen Million Kilometer, vorbei an der Marsbahn: klar und deutlich, klar und deutlich. Den ersten Test hatten sie bestanden: die Klarheit des Signals war keine quantitative Funktion der Entfernung. Aber Noelle blieb unsicher darüber, was geschehen würde, sobald das Schiff auf den üblichen Antrieb verzichtete und in den Nicht-Raum überwechselte, um Überlichtgeschwindigkeit zu erreichen. Dann würde sie in einem anderen Raum sein als Yvonne, praktisch in einem anderen Universum – würde sie dann immer noch das Gehirn ihrer Schwester erreichen können? Die Spannung in ihr nahm zu, als der Augenblick des Übertritts herankam, denn sie hatte keine Ahnung, wie das Leben ohne Yvonne für sie sein würde. Sich dieser schrecklichen Stille zu stellen, sich in eine so furchtbare Isolierung gestoßen zu wissen – aber das geschah nicht. Sie traten in den Nicht-Raum über, und ihre Wahrnehmung Yvonnes wurde nicht einmal kurzzeitig unterbrochen. Da sind wir, wo wir auch sein mögen, sagte sie, und Augenblicke später kam Yvonnes Antwort, ein fröhlicher Gruß aus dem alten Kontinuum. Klar und deutlich, klar und deutlich. Auch in den folgenden Wochen schwächte sich das Signal nicht ab. Klar und deutlich, klar und deutlich, bis die Störungen begannen.
    Der Jahres-Kapitän stellt sich den Kontakt zwischen den beiden Schwestern vor als einen Pfeil, der von Stern zu Stern zischt, als Flamme, die durch ein schimmerndes Rohr schießt, als einen Strom reiner Energie, der einen Himmels-Wellenleiter hinabrauscht. Er sieht die Vereinigung dieser beiden Gehirne als eine Strömung reinen Lichts, die

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