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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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sechzehnhundert Kilometer von zu Hause entfernt – ja, auch das kann er begreifen. Und Schon sind wir sechzehn Millionen Kilometer von zu Hause entfernt? Das überfordert das Begriffsvermögen beinahe schon – eine Kluft, eine Kluft, eine entsetzliche, leere, dunkle Kluft – aber er glaubt, selbst eine so große Entfernung auf eine gewisse Weise verstehen zu können. Aber sechzehn Lichtjahre? Wie kann er sich das erklären? Gleißende Sterne flankieren das Rohr aus Nicht-Raum, durch welches das Schiff jetzt fliegt, und er weiß, daß sein graumelierter Bart völlig weiß geworden sein wird, bis das Licht dieser Sterne am Nachthimmel der Erde funkelt. Dabei sind seit dem Start der Expedition erst einige Monate vergangen. Wie wundersam es ist, so schnell so weit gekommen zu sein, denkt er.
    Trotzdem gibt es ein noch größeres Wunder. Er wird Noelle bitten, eine Stunde nach dem Essen eine Nachricht an die Erde zu übermitteln, und er weiß, daß er vor dem Abendessen aus dem Kontrollzentrum in Brasilien eine Bestätigung erhalten wird. Das scheint ihm ein noch größeres Wunder zu sein.
    Ihre Kabine ist sauber, spartanisch, dürftig eingerichtet: keine Bilder, keine Lichtskulpturen, nichts, was dem Auge schmeichelt, nur ein paar kleine, schlanke Bronzestatuetten, eine glatte, ovale Platte aus grünem Stein und einige Gegenstände, die offenbar wegen ihrer fühlbaren Beschaffenheit ausgewählt worden sind – ein Streifen genoppter Stoff, über einen Rahmen gespannt, die steinerne Schale eines Seeigels, eine Sammlung rauher Sandsteinbrocken. Alles ist säuberlich geordnet. Hilft ihr jemand, hier Ordnung zu halten? Sie bewegt sich in dem kleinen Raum ruhig von Stelle zu Stelle, nie in Gefahr, anzustoßen; ihre Sicherheit wirkt entnervend auf den Jahres-Kapitän, der geduldig dasitzt und darauf wartet, daß sie sich niederläßt. Sie ist blaß, sehr gepflegt, das schwarze Haar streng nach hinten gebunden, wo es von einer verschlungenen Elfenbeinklammer festgehalten wird. Ihre Lippen sind voll, ihre Nase ist rund. Sie trägt ein weich fließendes Kleid. Ihr Körper ist anziehend: Er hat sie in den Bädern gesehen und weiß von ihren hohen, vollen Brüsten, ihren wohlgerundeten Hüften, ihrer cremigperfekten Haut. Soviel er weiß, hat sie jedoch an Bord noch keine Affären gehabt. Liegt es daran, daß sie blind ist? Vielleicht neigt man nicht dazu, sich eine blinde Person als einen möglichen Sexualpartner vorzustellen. Woran mag es liegen? Vielleicht daran, daß man zögert, eine blinde Person bei einer sexuellen Begegnung auszunutzen, meint er, und stutzt sofort erstaunt, um sich zu fragen, warum er irgendeine Art sexueller Beziehungen als ausnutzen betrachtet. Nun, dann verstellt möglicherweise Mitleid mit ihrer Behinderung erotischen Gefühlen den Weg; Mitleid wird zu leicht Herablassung und tötet das Begehren. Er weist diese Theorie ab: oberflächlich, unglaubwürdig. Könnte es sein, daß die Menschen sich ihr nicht zu nähern wagen, weil sie argwöhnen, daß sie fähig sei, ihre geheimsten Gedanken zu lesen? Sie hat wiederholt jede Fähigkeit bestritten, in andere Gehirne als das ihrer Schwester eindringen zu können. Außerdem – warum sich von ihrer Telepathie abhalten lassen, wenn man nichts zu verbergen hat? Nein, es muß etwas anderes sein, und nun glaubt er, es gefunden zu haben: daß Noelle so selbstgenügsam ist, so in sich ruhend, so sehr in ihre Blindheit und ihre geistige Kraft und ihre unergründliche Verbindung mit ihrer fernen Schwester versunken, daß niemand es wagt, die kristallenen Barrikaden zu durchbrechen, die ihr Innerstes schützen. Man nähert sich ihr nicht, weil sie unnahbar erscheint; ihre seltsame Seelenvollkommenheit sondert sie ab, hält andere auf Distanz, so, wie außergewöhnliche Schönheit die Menschen manchmal auf Distanz zu halten vermag. Sie erweckt kein Begehren, weil sie gar nicht menschlich wirkt. Sie leuchtet. Sie ist eine makellose Maschine, ein integrierter Teil des Schiffes.
    Er faltet den Text der heutigen Meldung für die Erde auseinander.
    »Nicht, daß es etwas Neues zu berichten gäbe«, sagt er, »aber die tägliche Verlautbarung werden wir doch wohl abgeben müssen.«
    »Es wäre grausam, wenn wir es nicht täten. Wir bedeuten ihnen so viel.«
    »Ich frage mich manchmal.«
    »O ja. Yvonne sagt, sie übernehmen unsere Mitteilungen von ihr, so schnell sie können, und verbreiten sie über alle Kanäle. Nachricht von uns ist schrecklich wichtig für sie.«
    »Als

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