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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Vivisektion, Shimon.«
    »Was?«
    »Es gab Dinge, die ich wissen mußte, und nur einen Weg, wie ich sie erfahren konnte. Der Hunger nach Wissen führte mich in die Sünde. Ich sagte mir, diese Wesen seien krank, sie würden ohnehin bald sterben, und es sei vielleicht für alle von Nutzen, wenn ich sie öffnete, solange sie noch lebten, verstehst du? Außerdem waren es keine menschlichen Wesen, Shimon, es waren nur Tiere – sehr intelligente Tiere, gewiß, aber doch nur – «
    »Nein, Joseph. Ich kann eher an Dybuks glauben als an das. Du sollst so etwas getan haben? Mein ruhiger, vernünftiger Freund, mein Wissenschaftler, mein Weiser?« Ich schauderte und trat ein paar Schritte zurück. »Auschwitz!« schrie ich. »Buchenwald! Dachau! Sagen dir diese Namen etwas? ›Es waren keine menschlichen Wesen‹, haben die Nazichirurgen gesagt. ›Es waren nur Juden, und unser Bedürfnis nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ist so groß –‹ Das ist erst dreihundert Jahre her, Joseph. Und du, ein Jude, ausgerechnet ein Jude –«
    »Ich weiß, Shimon. Ich weiß. Erspar mir die Predigt. Ich habe schrecklich gesündigt, und für meine Sünden habe ich diesen grotesken Körper bekommen, diesen plumpen, häßlichen, schweren Körper, diese vier Beine, mit denen ich kaum umgehen kann, diese verkrümmte Wirbelsäule, diesen heißen, stinkigen Pelz. Ich glaube immer noch nicht an einen Gott, Shimon, aber ich denke, ich glaube an eine Art ausgleichender Kraft, die in diesem Universum Konten auf Gleichstand bringt, und bei mir ist das geschehen, o ja, Shimon! Ich hatte heute sechs Stunden Entsetzen und Ekel, wie ich sie nie für möglich gehalten hätte. In diesen Körper zu schlüpfen, in dieser Hitze zu braten, in einer solchen Fleischmasse durch diese Landschaft zu wandern, mich mit den Sinneswahrnehmungen eines so fremdartigen Wesens bombardiert zu sehen – es war die Hölle, das sage ich dir ohne Übertreibung. Ich wäre schon nach den ersten zehn Minuten am Schock gestorben, wenn ich nicht schon zufällig tot wäre. Erst jetzt, wo ich dich sehe und mit dir spreche, bekomme ich mich in die Gewalt. Hilf mir, Shimon.«
    »Was soll ich tun?«
    »Hol mich hier heraus. Das ist Marterung. Ich bin ein Toter; ich habe Anspruch auf Ruhe, wie die anderen Toten. Befrei mich, Shimon.«
    »Und wie?«
    »Wie? Wie? Weiß ich das? Bin ich ein Fachmann Dybuks? Muß ich meinen eigenen Exorzismus leiten? Wenn du wüßtest, was für eine Anstrengung es allein ist, diesen Körper aufrecht zu erhalten, mit dieser Zunge hebräische Laute zu bilden, Dinge so zu sagen, daß du sie verstehst –« Plötzlich sank der Kunivar auf die Knie, ein langsamer, komplizierter Faltprozeß, der mich an die Art erinnerte, wie auf der alten Erde die Kamele sich auf dem Boden niederließen. Das fremde Wesen begann zu blubbern und zu stöhnen und mit den Armen zu rudern; Schaum trat auf seine breiten, elastischen Lippen. »Gott im Himmel, Shimon«, rief Joseph, »befrei mich!«
    Ich rief meinen Sohn Yigal, und er kam von der anderen Seite der Felder herübergerannt, ein schlanker, gesunder Junge, erst elf Jahre alt, aber schon langbeinig und kräftig. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, zeigte ich auf den leidenden Kunivar und sagte Yigal, er solle Hilfe aus dem Kibbuz holen. Ein paar Minuten später kam er mit sieben oder acht Männern zurück – Abrasah, Itzhak, Uri, Nahum und ein paar anderen. Wir mußten alle anpacken, um den Kunivar in den Korb einer Erntemaschine zu heben und ihn in unser Krankenhaus zu transportieren. Zwei von den Ärzten – Moshe Shiloah und ein zweiter – begannen das kranke Wesen zu untersuchen, und ich schickte Yigal ins Kunivaru-Dorf, damit er dem Oberhaupt mitteile, daß Seul auf unseren Feldern zusammengebrochen sei.
    Die Ärzte diagnostizierten den Fall schnell als Hitzschlag. Sie besprachen, welche Injektion der Kunivar erhalten sollte, als Joseph Avneri, ein Schweigen brechend, das seit Seuls Zusammenbruch angedauert hatte, seine Anwesenheit im Körper des Kunivar mitteilte. Uri und Nahum waren mit mir im Krankenzimmer geblieben; da ich nicht wollte, daß dieser Irrsinn im ganzen Kibbuz bekannt worden, führte ich sie hinaus und sagte ihnen, sie sollten die ganzen Phantasien vergessen. Als ich zurückkam, waren die Ärzte mit ihren Vorbereitungen beschäftigt, und Joseph erklärte ihnen geduldig, daß er ein Dybuk sei, der ungewollt von dem Kunivar Besitz ergriffen habe.
    »Die Hitze hat das arme Wesen verrückt gemacht«,

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