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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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murmelte Moshe Shiloah und stieß eine lange Kanüle in Seuls Schenkel. »Sorg dafür, daß sie mir zuhören«, sagte Joseph.
    »Ihr kennt die Stimme«, sagte ich zu den Ärzten. »Hier ist etwas sehr Ungewöhnliches geschehen.«
    Aber sie waren so wenig bereit, an Dybuks zu glauben, wie daran, daß Flüsse bergauf strömen. Joseph protestierte immer weiter, und die Ärzte fuhren methodisch fort, Seuls Körper mit Beruhigungsmitteln, Stärkungsmitteln und anderen Säften zu füllen. Selbst als Joseph vom Kibbuz-Klatsch des vergangenen Jahres anfing – wer mit wem hinter wessen Rücken geschlafen habe, wer unerlaubt Güter aus dem Gemeinschafts-Lagerhaus an die Kunivaru verhökert habe –, achteten sie nicht darauf. Es war so, als falle es ihnen so schwer, zu glauben, ein Kunivar könne hebräisch sprechen, daß sie unfähig waren, in dem, was er sagte, einen Sinn zu entdecken, so daß sie Josephs Worte für Seuls Delirium hielten. Plötzlich wurde Josephs Stimme zum erstenmal laut, und er rief: »Du, Moshe Shiloah! An Bord der Arche habe ich dich mit Tevia Kohns Frau im Bett ertappt, erinnerst du dich? Kann ein Kunivar so etwas wissen?«
    Moshe Shiloah ächzte, wurde rot und ließ seine Spritze fallen. Der andere Arzt war beinahe ebenso entgeistert.
    »Was soll das?« fragte Moshe Shiloah. »Wie kann das sein?«
    »Verleugne mich jetzt!« brüllte Joseph. »Kannst du mich verleugnen?«
    Die Ärzte standen vor demselben Problem wie ich, wie Joseph vor uns. Wir waren in diesem Kibbuz alle rational denkende Menschen, und das Übernatürliche hatte in unserem Leben keinen Platz. Aber das Phänomen ließ sich nicht wegleugnen. Da kam die Stimme Joseph Avneris aus der Kehle Seuls, des Kunivar, und die Stimme sagte Dinge, die nur Joseph gesagt hätte, und Joseph war seit über einem Jahr tot. Nenn es einen Dybuk, nenn es Halluzination, nenn es, wie du willst: Josephs Gegenwart konnte nicht ignoriert werden.
    Moshe Shiloah sperrte die Tür ab und sagte zu mir: »Wir müssen auf irgendeine Weise damit fertig werden.«
    Nervös besprachen wir die Lage. Es war, da bestand Einigkeit unter uns, eine delikate und schwierige Angelegenheit. Joseph, der tobte und sich gemartert fühlte, verlangte, ausgetrieben zu werden, damit er den Schlaf der Toten schlafen könne; wenn wir ihn nicht beschwichtigten, würde er uns alle quälen. In seiner Wut, in seinem Schmerz, mochte er alles mögliche sagen, mochte er alles preisgeben, was er über unser Privatleben wußte; ein Toter steht außerhalb aller Regeln des Anstands in der Gesellschaft. Wir konnten uns dem nicht aussetzen. Aber was sollten wir mit ihm anfangen? Ihn in einem Nebengebäude anketten und verstecken? Kaum. Der unglückliche Joseph verdiente Besseres; und es galt auch Seul zu bedenken, den armen, verdrängten Seul, den unfreiwilligen Wirt des Dybuks. Wir konnten keinen Kunivar im Kibbuz festhalten, gefangen oder frei, selbst wenn sein Körper den Geist von einem von uns beherbergte, und wir konnten die Hülle Seuls auch nicht mit Joseph als erzürntem Passagier in das Kunivaru-Dorf zurückkehren lassen. Was tun? Auf irgendeine Weise Seele vom Körper trennen: Seul wieder zur Ganzheit verhelfen und Joseph ins Reich der Toten schicken. Aber wie? In der üblichen Arzneimittelkunde stand nichts über Dybuks. Was tun? Was tun?
    Ich ließ Shmarja Asch und Yakow Ben-Zion holen, die in diesem Monat den Kibbuz leiteten, und Shlomo Feig, unseren Rabbi, einen klugen und robusten Mann, in seiner Orthodoxie sehr unorthodox, fast so weltlich wie wir anderen. Sie befragten Joseph Avneri gründlich, und er erzählte ihnen die ganze Geschichte, seine skandalösen Geheimexperimente, sein Jahr als wandernder Geist nach dem Tod, seine plötzliche, leidvolle Inkarnation in Seul. Schließlich wandte sich Shmarja Asch Moshe Shiloah zu uns und knurrte: »Es muß eine Therapie für solche Fälle geben.«
    »Ich kenne keine.«
    »Das ist Schizophrenie«, sagte Shmarja Asch in seiner entschiedenen, dogmatischen Art. »Für Schizophrenie gibt es Heilung. Es gibt Drogen, es gibt Elektroschockbehandlung, es gibt – Sie wissen das besser als ich, Moshe.«
    »Das ist keine Schizophrenie«, gab Moshe Shiloah zurück. »Das ist ein Fall von dämonischer Besessenheit. Ich bin auf diesem Gebiet nicht ausgebildet.«
    »Dämonische Besessenheit?« brüllte Shmarja. »Haben Sie den Verstand verloren?«
    »Friede, Friede, ihr alle«, sagte Shlomo Feig, als alle gleichzeitig durcheinanderzuschreien begannen. Die

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