Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
Dutzend Lichtjahren, außer, man rechnet unsere Nachbarn, die Kunivaru. (Können Wesen, die keine Menschen sind, so genannt werden? Ich bin nicht sicher. Außerdem beharren die Kunivaru jetzt darauf, daß sie Juden seien. Mir schwindelt. Das ist eine Frage von talmudischer Kompliziertheit, und ich bin, weiß Gott, kein Talmud-Gelehrter. Hillel, Akiba, Rashi, helft mir!)
    Jedenfalls wird am fünften Tag des Sivan der Sohn meines Sohnes seinen Bar-Mizwa feiern, und ich werde den stolzen Opa spielen, wie fromme alte Juden es sechstausend Jahre lang getan haben.
    Alle Dinge hängen zusammen. Daß mein Enkelsohn einen BarMizwa haben würde, ist nur das letzte Glied in einer Kette von Ereignissen, die zurückgeht bis – wann? Zu dem Tag, als die Kunivaru beschlossen, den jüdischen Glauben anz unehmen? Zu dem Tag, als der Dybuk in Seul, den Kunivar, schlüpfte? Zu dem Tag, als wir Flüchtlinge von der Erde den fruchtbaren Planeten entdeckten, den wir manchmal Neu-Israel und manchmal Mazel Tov IV nennen? Zu dem Tag des Letzten Pogroms auf der Erde? Reb Jossele, der Hasidim, würde vielleicht sagen, Davids BarMizwa sei an dem Tag bestimmt worden, als Gott der Herr Adam aus Staub gemacht hat. Aber ich finde, das wäre übertrieben.
    Der Tag, an dem der Dybuk Besitz vom Körper Seuls ergriff, war vermutlich derjenige, an dem es wirklich anfing. Bis dahin lief hier alles ziemlich unkompliziert. Die Chassidim hatten ihre Siedlung, wir Israelis die unsere, und die Eingeborenen, die Kunivaru hatten den Rest des Planeten; im allgemeinen gingen wir einander aus dem Weg. Nach dem Dybuk aber war alles anders. Es geschah vor über vierzig Jahren, in der ersten Generation nach der Landung, am neunten Tag Tishri im Jahr 6302. Ich arbeitete auf dem Feld, denn Tishri ist ein Erntemonat. Der Tag war heiß, und ich arbeitete flott, singend und summend. Während ich die langen Reihen der Knister-Kapseln entlangging und die bezeichnete, die man ernten konnte, erschien auf dem Kamm des Hügels über unserem Kibbuz ein Kunivar. Er schien in Bedrängnis zu sein, denn er wankte und taumelte den Hang mit außerordentlichem Ungeschick herunter und stolperte über seine eigenen vier Beine, als könne er kaum damit umgehen. Als er etwa hundert Meter von mir entfernt war, rief er: »Shimon! Hilf mir, Shimon! In Gottes Namen, hilf mir!«
    An diesem Aufschrei war mehrerlei merkwürdig, und ich nahm das der Reihe nach wahr, das Banalste zuerst. Es erschien mir seltsam, daß ein Kunivar mich mit meinem Vornamen anredete, denn die Kunivaru sind ein auf gute Umgangsformen bedachtes Volk. Noch eigenartiger erschien mir, daß ein Kunivar mich in ganz ordentlichem Hebräisch ansprach, da zu dieser Zeit noch keiner von ihnen unsere Sprache gelernt hatte. Am sonderbarsten aber – allerdings erkannte ich das erst nach einer Weile – schien es zu sein, daß ein Kunivar die Stimme meines lieben, toten Freundes Joseph Avneri haben sollte, dunkel und sonor.
    Der Kunivar stolperte in den kultivierten Teil des Feldes und blieb, am ganzen Körper zitternd, stehen. Sein seidiger grüner Pelz war vom Schweiß zu Klumpen verklebt, und seine großen, goldenen Augen rollten und schielten auf schreckliche Weise. Er stand plattfüßig da, die Beine unter den vier Ecken seines gedrungenen Körpers wie Tischbeine herausspreizend, und hatte die langen, kraftvollen Arme um seinen Brustkorb geschlungen. Ich erkannte den Kunivar als Seul, einen Unterhäuptling des nahen Ortes, mit dem wir vom Kibbuz gelegentlich zu tun hatten.
    »Wie kann ich dir helfen?« fragte ich. »Was ist passiert mit dir, Seul?«
    »Shimon – Shimon –« Ein schreckliches Stöhnen entrang sich dem Kunivar. »O Gott, Shimon, das übersteigt jeden Glauben! Wie kann ich das ertragen? Wie kann ich das auch nur begreifen?«
    Kein Zweifel – der Kunivar sprach mit der Stimme von Joseph Avneri.
    »Seul?« sagte ich zögernd.
    »Mein Name ist Joseph Avneri.«
    »Joseph Avneri ist seit dem letzten Elul ein Jahr tot. Ich wußte nicht, daß du ein so guter Imitator bist, Seul.«
    »Imitator? Du sprichst zu mir von Imitieren, Shimon? Das ist keine Imitation. Ich bin dein Joseph, tot, aber noch bewußt, für meine Sünden in diesen monströsen fremden Körper geschleudert. Bist du Jude genug, um zu wissen, was ein Dybuk ist, Shimon?«
    »Ein wandernder Geist, ja, der Besitz vom Körper eines
    Lebewesens ergreift.«
    »Ich bin ein Dybuk geworden.«
    »Es gibt keine Dybuks. Dybuks sind Phantome aus

Weitere Kostenlose Bücher