Steinbrück - Die Biografie
Distanz halten sollte, dem jungen Genossen bereitwillig aus der Patsche. Die Herren Jochimsen, Matthiesen und Gansel machen ordentlich Dampf. Das wirkt. Sie wenden sich mit präzisen und unbequemen Fragen an den Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein, an das Bundesamt in Köln, an die Justiz- und Innenministerien sowie an die entsprechenden Dienststellenleiter in Kiel. Wie es denn sein könne, dass der unbescholtene Zeuge Steinbrück aus einer völlig ergebnislosen Ermittlungssache plötzlich als Staatsfeind und »Sicherheitsrisiko« hervorgehe? Vor allem Matthiesen hat als Mitglied der PKK, der Parlamentarischen Kontrollkommission zur Überwachung der Geheimdienste, direkten Zugang zu den Akten. Da die ganze Geschichte ohnehin hanebüchen gelaufen ist und bei Licht betrachtet eine ziemliche Blamage für den Verfassungsschutz und die Staatsanwaltschaft darstellt, wird die Angelegenheit irgendwann diskret bereinigt.
Das dauert allerdings einige Monate, und in dieser Phase der Ungewissheit leidet Steinbrück fürchterlich, ist so niedergeschlagen, dass seine Frau sich schon ernste Sorgen macht. Er bangt um seine Karriere, sieht seine Rolle als Ernährer der jungen Familie gefährdet und spürt erstmals so etwas wie nagende Selbstzweifel.
Mitten in dieser unglücklichen Lage meldet sich ein Kollege des Bundesministeriums für Forschung und Technologie bei ihm. Das BMFT, wie das Haus im Amtsdeutsch heißt, suche noch einen tüchtigen Volkswirt für die Planungsabteilung. Ob er sich da nicht einmal vorstellen wolle? Ohne große Hoffnung dreht Steinbrück seine Runden durch die Ministerialbürokratie des Forschungsressorts, bis er am Ende im Büro des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Volker Hauff sitzt. Dem Parteifreund schüttet Steinbrück sein Herz aus, berichtet, dass er beim benachbarten Bauministerium gerade aus Gründen der nationalen Sicherheit abgelehnt worden sei und deshalb jetzt nicht wisse, wie er das Angebot des Forschungsressorts bewerten solle.
Hauff denkt eine Weile nach und sagt dann zu Steinbrück: »Ich stelle Ihnen jetzt nur eine einzige Frage. Überlegen Sie sich die Antwort sehr gut, denn davon hängt viel ab für Sie und auch für mich: Ist da etwas dran, was der Verfassungsschutz Ihnen vorwirft, oder ist da nichts dran?«
Wie aus der Pistole geschossen antwortet Steinbrück, dass da »null Komma nix« dran sei. Schnell will er zur Illustrierung seiner Unschuld noch die Geschichte von der ergebnislosen Durchsuchung in der Kieler Studenten-WG erzählen, doch Hauff winkt bereits ab. Sein Wort genüge ihm, sagt der Staatssekretär. »Sie haben den Job.«
Noch heute ärgert sich Steinbrück, wenn er von seinen Erlebnissen mit dem Verfassungsschutz erzählt. Nicht nur ihm wäre es beinahe an den Kragen gegangen damals. Auch einige seiner früheren Mitbewohner bekamen erheblichen Ärger. Ihnen erging es wie Tausenden anderen, die beim Start ins Berufsleben zu Unrecht in irgendeinen Verdacht gerieten und diesen verhängnisvollerweise nicht mehr loswurden. Einer der Kieler WG-Genossen wäre um ein Haar nicht als Amtsarzt im Kreis Lauenburg eingestellt worden wegen dieser »dämlichen Sache«, erinnert sich Steinbrück. Und er weiß auch, dass er sich ohne die Hilfe der drei einflussreichen Parteifreunde und ohne den couragierten Volker Hauff damals kaum aus der ganzen Verstrickung hätte lösen können. Steinbrücks Meinung über die Fähigkeiten des Verfassungsschutzes steht seitdem fest. Er gebraucht dafür Worte, die allerdings nicht zitierfähig sind.
Mit dem neuen Job im Forschungsressort fasste Steinbrück schnell neuen Mut. Er freute sich über sein gelungenes Comeback im Bonner Ministerialdienst, auch wenn er zunächst nur als Hilfsreferent anfing. Entscheidend für ihn war, dass er die erste Niederlage oder, besser gesagt, den ersten wirklichen Rückschlag in seinem Leben überwunden hatte. Er musste kämpfen, ja, auch leiden, aber er gab nie auf und stand jetzt als Sieger da. Diese Erfahrung sollte er nie wieder vergessen. Sie stärkte auch bei späteren Rückschlägen seinen unbedingten Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen und so lange weiterzukämpfen, bis aus den Niederlagen irgendwann wieder Siege wurden.
Im Planungsstab des Bundesforschungsministeriums feilte Steinbrück ab 1975 an Strategievorschlägen und Redeentwürfen für die Hausleitung. Eines der Topthemen, damals wie heute, war der Stellenwert der forschenden Unternehmen für die industrielle Entwicklung in
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