Steinbrück - Die Biografie
albtraumhafte Labyrinth einer surrealen Justizbürokratie und eines nie erkennbaren Gerichts, das ihn am Ende gleichwohl verurteilt. So sehr sich die Romanfigur auch wehrt, jede Gegenwehr ist zwecklos.
In seiner Not mobilisierte Steinbrück schließlich einflussreiche Leute in Wissenschaft und Politik, die ihm helfen sollten, dem kafkaesken Kreis aus Verdacht, Ablehnung und Schweigen zu entfliehen. Es war Anfang der Siebzigerjahre nämlich äußerst schwierig, gegen die einmal getroffene amtliche Feststellung vorzugehen, man sei ein Verfassungsfeind oder stelle zumindest ein »Sicherheitsrisiko« für die Bundesrepublik Deutschland dar.
Hintergrund war der sogenannte »Radikalenerlass«. Damit wollten Bund und Länder damals verhindern, dass Angehörige oder Anhänger verfassungsfeindlicher Organisationen in den Staatsdienst aufgenommen wurden. Dass ausgerechnet der von Steinbrück so verehrte Willy Brandt diesen Extremistenbeschluss als Bundeskanzler 1972 herbeiführte, sieht Steinbrück auch heute noch kritisch. Obwohl seinerzeit die RAF ihr Unwesen trieb und den Rechtsstaat in der Tat herausforderte, zielte der Radikalenerlass in erster Linie auf die Deutsche Kommunistische Partei (DKP). Das Problem für die Betroffenen bestand darin, dass bereits »Zweifel an der Verfassungstreue« genügten, um ihnen den Zugang zum öffentlichen Dienst zu verwehren.
Die Beurteilung einer tadellosen demokratischen Gesinnung erfolgte eben durch den Verfassungsschutz. Dort mussten alle Behörden vor der Übernahme eines Bewerbers eine entsprechende »Regelanfrage« stellen. Das größte Problem bei diesem Verfahren lag in der mangelnden Transparenz. Es war kaum nachvollziehbar, wie eventuelle Zweifel an der Grundgesetztreue eines Aspiranten zustande gekommen waren und mit welchen Fakten sie begründet wurden.
Sehr viele angehende Lehrer waren von der überaus kritisch diskutierten Maßnahmen betroffen. Da sie praktisch nur als Beamte eine Stelle fanden, wurde die Regelung auch als »Berufsverbot« bezeichnet. Als sich in der Folge die grotesken Fälle häuften, beschlichen die Regierungsfraktionen von SPD und FDP wachsende Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihres Erlasses. Nachdem selbst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1975 keine Klarheit brachte, setzte die Bundesregierung den Radikalenerlass ein Jahr später für ihre Behörden einseitig außer Kraft. Willy Brandt bezeichnete den Extremistenbeschluss später offen als »Fehler«.
Bis zur endgültigen Abschaffung der Regelanfrage in den Ländern Ende der Achtzigerjahre wurden beim Verfassungsschutz insgesamt 1,4 Millionen Personen überprüft, und es gab 11 000 Verfahren. In rund 1100 Fällen verwehrte man Bewerbern den Zugang zum öffentlichen Dienst beziehungsweise entfernte sie aus dem Beschäftigungsverhältnis. Helmut Schmidt räumte später als Kanzler ein, man habe »mit Kanonen auf Spatzen geschossen«.
Steinbrück aber steckt 1975 mittendrin in dem Schlamassel. Da er sich nicht mehr anders zu helfen weiß, spielt er jetzt die politische Karte und bittet einflussreiche Sozialdemokraten um Hilfe. Der erste ist Reimut Jochimsen, den Steinbrück schon lange kennt. Er hatte bereits als Student Vorlesungen bei ihm gehört, als Jochimsen noch Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel war. Danach wurde der Wissenschaftler Leiter der Planungsabteilung im Kanzleramt und Staatssekretär im Bundesbildungsministerium.
Der zweite wichtige Helfer ist Klaus Matthiesen, der spätere Landwirtschafts- und Umweltminister in Nordrhein-Westfalen. 1975 hat er gerade als SPD-Spitzenkandidat knapp die Wahl in Schleswig-Holstein verloren und sitzt nun im Kieler Landtag als Fraktionschef und Oppositionsführer. Der dritte im Bunde der Steinbrück-Helfer schließlich ist Norbert Gansel, der langjährige Kieler Bundestagsabgeordnete und spätere Oberbürgermeister der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt.
Die drei Parteifreunde sind strategisch geschickt ausgesucht. Alle drei verfügen über beste Beziehungen in Kiel, wo das ganze Unglück begonnen hat. Aber auch in Bonn bei der Bundesregierung und in der Fraktion der regierenden Sozialdemokraten kann jeder aus dem Trio seinen Einfluss geltend machen. Obwohl Steinbrück damals nur ein arbeitsloser Referent mit einem ausgelaufenen Werkvertrag ist, stellt er schon eine erstaunlich prominente Riege aus Fürsprechern zusammen. Jedenfalls hilft die Partei, zu der Steinbrück später oft demonstrative
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