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Steinbrück - Die Biografie

Steinbrück - Die Biografie

Titel: Steinbrück - Die Biografie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Goffart
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einer schweren Wahl. Der angebotene Einstieg beim Kieler Institut für Weltwirtschaft reizte ihn, doch andere Reize erwiesen sich schließlich als stärker. Also verließ der Hanseat die vertraute norddeutsche Heimat und zog Anfang 1975 ins Rheinland. Dass er dort für Jahrzehnte bleiben und später sogar einmal Ministerpräsident und »Landesvater« der Rheinländer und Westfalen werden sollte, hätten damals weder er noch seine Frau Gertrud gedacht.
    Für den Neuankömmling Steinbrück eröffnete sich in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn ein beruflicher Einstieg beim Bundesbauministerium. Zwar handelte es sich nicht um eine feste Stelle, sondern nur um eine freiberufliche Tätigkeit. Aber ein Anfang war immerhin gemacht mit einem Werkvertrag über 20 000 DM. Gegenstand der Vereinbarung war die Erstellung eines volkswirtschaftlichen Gutachtens zu Raumordnungsfragen binnen 14 Monaten. Die größte Arbeit bestand in der Erhebung statistischer Daten – schließlich gab es noch keine Computer. Die Honorierung war nicht üppig, aber zusammen mit dem Assistentengehalt, das seine Frau von der Universität Bonn erhielt, kam das junge Paar ganz gut über die Runden.
    Als Steinbrücks Werkvertrag auslief, waren die Herren im Bauministerium so zufrieden mit der abgelieferten Arbeit, dass sie ihm eine feste Anstellung bieten wollten. Allerdings unter dem Vorbehalt einer winzigen Kleinigkeit, nämlich der bei Bundesbehörden und Ministerien üblichen Sicherheitsüberprüfung. Reine Routine, dachten alle, doch wenige Tage später wurde Steinbrück zu einem dringenden Gespräch ins Ministerium einbestellt. Anstatt des erhofften Dauervertrags erhielt er eine Absage. Zwei Herren in grauen C&A-Anzügen erklärten dem völlig verdutzten Volkswirt, dass er die avisierte Stelle leider nicht erhalten könne. Die Regelanfrage beim Verfassungsschutz habe nämlich ergeben, dass er ein Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland darstelle. Als Steinbrück empört nachfragte, wie sie zu diesem Befund gekommen seien, hüllten sich die beiden Herren in Schweigen. »Wir sind nicht befugt, Ihnen Auskunft zu geben.«
    Von einer Minute auf die andere ist Steinbrück wieder draußen. Abserviert. Arbeitslos. Ende der Karriere, bevor sie überhaupt begonnen hat. Als amtlich festgestelltes Sicherheitsrisiko gibt es keine Chance mehr für ihn, zumindest nicht im öffentlichen Dienst. Und erst recht nicht im Herzen der politischen Administration der Bonner Bundesregierung. Steinbrück ist verzweifelt. Erinnert sich wieder an die völlig überzogene Durchsuchungsaktion des Verfassungsschutzes in der Kieler Studenten-WG und fühlt Ohnmacht und Wut gleichermaßen in sich aufsteigen.
    Zwei Umstände machen das Unglück zusätzlich schlimmer, als es ohnehin schon ist. Mit der Doktorarbeit, die er aus Kiel mitgebracht hat, kommt er seit Monaten nicht mehr so richtig voran. Es ist unendlich mühsam, neben der anspruchsvollen Tätigkeit für das Bauministerium nach Feierabend noch wissenschaftlich zu arbeiten und die Promotion voranzutreiben. Im Stillen gesteht er sich sogar ein, dass er diesem Kraftakt nicht gewachsen ist. Das hohe, selbst gesteckte Ziel, nach dem Prädikatsexamen den eigenen Namen noch mit einem Doktortitel zu schmücken, gerät in akute Gefahr. Das ist Gift für seinen Ehrgeiz und für sein bis dahin ungetrübtes Selbstbewusstsein. Zum anderen erfolgt die Ablehnung durch das Bauministerium zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, denn seine Frau Getrud ist schwanger und steht kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes.
    Verzweifelt versucht Steinbrück, sich gegen das existenzgefährdende Stigma des Verfassungsfeinds zur Wehr zu setzen. Er schreibt an die zuständige Staatsanwaltschaft in Kiel und schafft es immerhin, sich einen »Persilschein« zu besorgen. Schließlich wurde er damals nur als Zeuge vernommen und nie als Beschuldigter erwähnt. Darüber hinaus blieb die Observierung und Durchsuchung ohne jedes Ergebnis. Doch alle rationalen und juristischen Argumente führen nicht weiter. Er wendet sich an andere Behörden, an die Staatsanwaltschaft in Bonn und sogar direkt an den Verfassungsschutz. Doch trotz aller Bemühungen scheint er in einen Wattesack zu boxen.
    Steinbrück fühlt sich bald wie der unglückliche Bankprokurist Josef K. in dem unvollendeten Roman Der Prozess von Franz Kafka. Darin wird ein junger Mann angeklagt, ohne dass er sich irgendeiner Schuld bewusst wäre. Der Mann gerät immer tiefer in das

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