Steinbrück - Die Biografie
Schleswig-Holstein zur Genüge. Er weiß von Anfang an, worauf er sich einlässt. Dennoch wird er sich später über das »politische Klein-Klein auf Pepitaniveau« beklagen, das ihm die Arbeit in der Landeshauptstadt Kiel zunehmend verleidet habe. 1990 aber, als aus Kiel das erhoffte Angebot kommt, mit 43 Jahren Staatssekretär zu werden, gibt es für ihn kein Zögern. Er will etwas erreichen und Karriere machen, egal wo. Zudem gilt Ministerpräsident Björn Engholm zu dieser Zeit als kommender Mann der SPD. Als designierter Bundesvorsitzender der Sozialdemokraten strahlt »der schöne Björn«, wie der hedonistische Pfeifenraucher halb spöttisch, halb bewundernd genannt wird, über die Grenzen Schleswig-Holsteins hinaus politische Bedeutung und durchaus ein gewisses persönliches Flair aus.
Wie sehr Steinbrück ein öffentliches Amt im Kabinett von Engholm reizt, lässt sich schon an der Tatsache ablesen, dass er am 5. Mai 1990 noch als Büroleiter von Johannes Rau den Kieler Nachrichten ein Interview gibt, obwohl er erst im Juni als Staatssekretär im Kieler Ministerium für Natur, Umwelt und Landesentwicklung beginnen soll. Er kann es offenbar nicht abwarten, in der Öffentlichkeit in seiner neuen Position wahrgenommen zu werden.
Wie man sich als Politiker richtig in Szene setzt und bei den Bürgern beliebt macht, hat Steinbrück beim populären Landesvater Rau in Nordrhein-Westfalen ausgiebig studieren können. Und so versucht er gleich zu Beginn seiner Politikerkarriere, in der Presse ein paar freundliche Töne anzuschlagen. Den Lesern der größten Zeitung Schleswig-Holsteins teilt der künftige Staatssekretär Steinbrück freudestrahlend mit, dass seine Familie schon ein Haus in Kronshagen gekauft habe und sich »auf das Leben an der Küste« freue. Ob das Gertrud Steinbrück, die sehr an Bonn und dem Rheinland hängt, ebenfalls so gesehen hat, darf bezweifelt werden. Am Anfang ihrer Beziehung setzte sie ja bekanntlich durch, dass ihr Künftiger in die alte Bundeshauptstadt umzog. Dieses Mal aber kann die passionierte Rheinländerin die Wahl des Wohnorts nicht zu ihren Gunsten entscheiden. Schließlich geht es bei ihrem Mann nicht mehr darum, zwischen einem Assistentenjob in Kiel oder einem Referentenposten in Bonn zu wählen. Jetzt wird er Staatssekretär, und da bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Koffer zu packen und mit der ganzen Familie in den hohen Norden ziehen.
In diesem ersten Interview mit den Kieler Nachrichten präsentiert sich das künftige Kabinettsmitglied Steinbrück bereits als heimatverbundener Musterknabe. Auf die kritische Frage, was ihn als gebürtigen Hamburger mit Karrierestationen in Bonn und Düsseldorf eigentlich mit Schleswig-Holstein verbinde, antwortet er geradezu vorbildlich: »Ich habe in Kiel studiert, in Travemünde meinen Keuchhusten auskuriert, in der Schlei bei Arnis das Schwimmen gelernt und auf Föhr zum ersten Mal ein Mädchen geküsst.« Hut ab, kann man da aus medialer Sicht nur sagen, keine schlechte Botschaft für den Anfang! Noch bevor Steinbrück in Kiel überhaupt eingetroffen ist, empfiehlt er sich seinen künftigen Mitbürgern bereits als nordelbischer Lokalpatriot.
Wie eng indes der Horizont seiner ersten Aufgabe gesteckt ist, lässt sich in dem Interview auch schon erkennen. Ob er für Müllverbrennung oder Recycling sei, lautet eine der Fragen. Das Thema ist zu dieser Zeit nicht ohne Brisanz. Anfang der Neunzigerjahre tobt um die Abfallpolitik fast ein Glaubenskrieg. Der Sinn und Unsinn von Mülltrennung und gelben Tonnen wird in Talkshows und Stammtischrunden leidenschaftlich diskutiert. Vorsichtig redet sich Steinbrück in dem Zeitungsgespräch deshalb um eine klare Antwort herum: »Ich bin kein Pyromane«, antwortet er dem Reporter ausweichend. »Aber bei solchen wichtigen umweltpolitischen Themen will ich jetzt nicht naseweis sein und Patentrezepte liefern. Ich höre erst einmal zu und rede viel mit meinem Minister.«
Doch so brav, wie er sich da gab, sollte Steinbrück dann nicht agieren. Sein Chef, der schleswig-holsteinische Umweltminister Berndt Heydemann, war eher Wissenschaftler als Politiker und gilt bis heute als philosophischer Kopf und umweltpolitischer Vordenker. Der parteilose Hochschullehrer und Autor zahlreicher Sachbücher hatte nach einer Gartenbaulehre Zoologie, Botanik, Biologie, Chemie, Physik und Ökologie studiert und 1953 über die agrarökologische Problematik promoviert. Heydemann sprach bereits zu einer Zeit über
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