Steinbrück - Die Biografie
Wahlkampf erwiesen, mochte er als Spitzenkandidat auf der Bühne noch so sehr brüllen und sich in Rage reden.
Steinmeier wusste das. Einerseits war er dankbar, dass Gabriel durch seine beherzten Angriffe auf Merkel die Sache der SPD beförderte. Anderseits spürte der Kanzlerkandidat schon damals, dass da einer unterwegs war, der sich für mindestens ebenso gut, wenn nicht gar für besser geeignet hielt. An dieser Einstellung hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn keiner der Beteiligten das offen sagen würde.
Dennoch war Steinmeier überrascht, als Gabriel ihn am Wahlsonntag auf dem Weg zur SPD-Zentrale anrief. Offenbar wollte er nicht bis zu seinem Eintreffen im Willy-Brandt-Haus warten. Der Grund für den Anruf wurde schnell deutlich: Noch bevor überhaupt die ersten Zahlen aus den Wahllokalen einliefen, ließ Gabriel am Telefon recht unverfroren durchblicken, dass er bei einer Niederlage der SPD den Fraktionsvorsitz im Bundestag übernehmen möchte. Dafür könne Steinmeier, so die Andeutungen, ja den Parteivorsitz beanspruchen.
Steinmeier musste das zu diesem Zeitpunkt als Kampfansage verstehen. Schließlich hatte er im internen SPD-Zirkel mehrfach deutlich erkennen lassen, dass er sich im Falle einer Niederlage für den Fraktionsvorsitz interessierte. Mit diesem Posten nähme er immerhin den Platz des Oppositionsführers im Deutschen Bundestag ein und bliebe präsenter, als wenn er den Vorsitz einer besiegten Partei schultern müsste.
Im Willy-Brandt-Haus ist die Stimmung an diesem Sonntag gedrückt. Nach und nach treffen die führenden SPD-Politiker ein. Es wird viel geredet, viel telefoniert. Erste Zahlen deuten auf eine eher niedrige Wahlbeteiligung hin. Das ist immer schlecht für die Sozialdemokraten. Deren klassische Klientel – die »kleinen Leute«, wie Johannes Rau gerne sagte – empfindet in der Regel das Wahlrecht nicht ganz so stark als erste demokratische Bürgerpflicht, wie konservative Kreise oder das Bildungsbürgertum das tun.
Um 16 Uhr kommen die ersten »Exit Polls« – Umfragen, die im Laufe des Wahltags an den Ausgängen von repräsentativ ausgesuchten Wahllokalen in ganz Deutschland erhoben werden. Aus diesen Stichproben ergibt sich erfahrungsgemäß schon eine ziemlich gute Einschätzung. Bis zum Ende der Wahl um 18 Uhr werden die Umfrageergebnisse laufend aktualisiert, sodass sich die Stichproben mehr und mehr zu einem klaren Bild der Lage verdichten. Die Prognose, die dann pünktlich um 18.01 Uhr über die Fernsehbildschirme flimmert, beruht ausschließlich auf diesen Umfragen und ist in der Tendenz immer verblüffend genau.
Die »Exit Polls« werden den Spitzenpolitikern vorab vertraulich zur Verfügung gestellt, damit sie ihre Reaktion und Strategie am Wahlabend besser vorbereiten können. Eine Veröffentlichung vor Schließung der Wahllokale ist hingegen verboten, weil darin eine Manipulation der noch laufenden Wahl gesehen werden könnte. Als Steinmeier an diesem 27. September 2009 gegen 16 Uhr das erste Resultat der Wählerbefragung in den Händen hält, erbleicht er. Die Umfrage kündigt eine Katastrophe an.
Auch Peer Steinbrück ist inzwischen in die Parteizentrale gekommen. Wie alle anderen schockiert ihn das Ausmaß der Verheerungen – anders lässt sich das zu erwartende Wahlergebnis kaum beschreiben. Für verzweifelte Hoffnungen bleibt angesichts der laufend eintreffenden Zahlen kein Raum mehr: Von Prognose zu Prognose wird offensichtlicher, wie tief die SPD nach vier Jahren in der Großen Koalition gefallen ist.
Um 18.01 Uhr steht der rote Balken auf den Fernsehschirmen bei unfassbaren 23 Prozent, dem schlechtesten Ergebnis der SPD in der Geschichte der Bundesrepublik. Eine Rekordpleite, eine historische Niederlage. Nie hat eine Partei nach einer Legislaturperiode Regierungstätigkeit 11 Prozent verloren.
Durch die Bundestagsfraktion, das politische Kraftfeld der SPD, ist der Wähler gleichsam mit der Sense geschritten. Von 222 Mandaten gehen 74 verloren. Ein Drittel der Fraktion wird damit einfach abgewählt, unter ihnen gestandene Größen der Partei. Ottmar Schreiner, der profilierteste Linke, zählt ebenso dazu wie Andrea Nahles, die stellvertretende Parteivorsitzende und Nachwuchshoffnung des linken Flügels. Trotz bundesweiter Prominenz bleiben sie in ihren Wahlkreisen chancenlos. Auch Peer Steinbrück kann sich bei den Wählern in Mettmann nicht durchsetzen. Der Einzug in den Bundestag gelingt ihm nur, weil er wie andere Parteigrößen mit einem
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