Steinbrück - Die Biografie
gewählte Dreamteam später auf den Vorschusslorbeeren ausruhen würde, keiner in der Wirtschaft mochte sich vorstellen, wie untauglich der Koalitionsvertrag und das Regierungshandeln später ausfallen sollten. Unvorstellbar schien es an diesem Abend, dass ausgerechnet die Wunschregierung der Wirtschaft ihren Kredit bereits zur Halbzeit weitgehend verspielt haben würde. Inzwischen ist die Große Koalition als Bündnis der Stabilität mehreren Umfragen zufolge die erklärte Lieblingsvariante der Wirtschaft für 2013 – auch das hätte am Wahlabend 2009 niemand für möglich gehalten. Doch der Stolperstart der bürgerlich-liberalen Regierung und der Niedergang der FDP lagen damals in weiter Ferne. Guido Westerwelle hatte mit fast 15 Prozent ein Rekordergebnis eingefahren, und so konnten er und seine Partei in der Folge vor Kraft kaum laufen.
Steinbrück war als Finanzminister eingeladen worden, und so ging er hin, obwohl er auf dieser Jubelparty eigentlich nichts mehr zu suchen hatte. Als er im Interconti eintraf, war die Feier schon in vollem Gange. Die Krawatte legte Steinbrück schnell ab, kurz darauf auch das Jackett. Es war heiß und stickig in den überfüllten Räumen. Mit einem Glas Bier in der Hand versuchte er seine Betroffenheit mit Sarkasmus zu überspielen. Er genoss es, dass die Manager alle auf ihn zukamen, ihren Respekt bekundeten und sogar Worte des Bedauerns fanden. Einen wie ihn konnte man überall brauchen, auch und gerade in Unternehmen. An Angeboten mangelte es nicht. Einige hatten bereits vor der Wahl angerufen, und die Headhunter würden ihm in den nächsten Wochen »die Bude einrennen«, wie er später amüsiert erzählte.
Doch er lehnte alle Angebote aus der Wirtschaft ab – bis auf eine Ausnahme. Als Berthold Beitz sich meldete und ihn persönlich bat, eine Berufung in den Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp anzunehmen, da konnte Steinbrück nicht widerstehen. Einem Mann wie dem 98-jährigen Vorsitzenden der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, einem lebenden Denkmal der deutschen Wirtschaftsgeschichte, schlug man keine Bitte ab. Außerdem schmeichelte das Angebot selbst Steinbrück. Beitz, der langjährige Stahlmagnat und Testamentsvollstrecker der Familie Krupp, ragte im schnelllebigen Wirtschaftsleben der Moderne heraus wie ein Felsen am Kieselstrand. Sogar Helmut Schmidt rang sich bewundernde Worte ab. »Was für ein Leben und was für eine Lebensleistung.« Der Aufsichtsratsposten bei Thyssen-Krupp blieb jedoch wirklich die Ausnahme, auch später kamen keine anderen Ämter hinzu, wenn man von Steinbrücks Aufsichtsratssitz beim Bundesligisten Borussia Dortmund einmal absieht. »Ich kann jetzt mal ganz gut ohne Terminkalender leben«, behauptete Steinbrück am Wahlabend, ohne dass jemand ihm glaubte. Was er denn künftig machen wolle? Den einfachen Abgeordneten spielen?
Vor allem die anwesenden Journalisten bedrängen ihn, wittern die nächste Story. Will Steinbrück vielleicht auf der Wahlparty der Wirtschaft die Kontakte für einen beruflichen Neustart knüpfen? Wechselt der Finanzminister jetzt in die Wirtschaft, vielleicht sogar in eine Bank? Schließlich sind die Kreditinstitute seit der Krise stärker denn je auf den Staat angewiesen, und da kann politische Expertise nicht schaden.
Steinbrück lacht nur über die wilden Spekulationen um seine Person. Zum einen zieht das Kreditwesengesetz solchen Wechseln enge Grenzen. Und zum anderen räumt er offen ein, vom operativen Bankgeschäft zu wenig zu verstehen, um als Vorstand in einem Kreditinstitut erfolgreich arbeiten zu können. Und Einsätze unterhalb der Vorstandsebene kommen für einen wie ihn ohnehin nicht infrage. Das klingt zu sehr nach Kreissparkasse Iserlohn oder nach Frühstücksdirektor. Und das ist nichts für ein Kaliber wie Peer Steinbrück. »Meinen Sie, ich ziehe künftig als Lobbyist durch die Gegend?«, fragt er mit spöttischer Miene die Journalisten, schüttelt den Kopf und presst sein meckerndes Jack-Nicholson-Lachen heraus. »Machen Sie sich mal keine Sorgen um mich«, sagt er dann mit wegwerfender Handbewegung. »Oder glauben Sie etwa, dass ich mich künftig langweile?«
Kapitel 12
Zurück im Ring
E s gibt eine lustige Geschichte über einen Bundesminister, der nach dem plötzlichen Verlust seines Postens große Probleme hat, wieder im Alltagsleben eines Normalbürgers anzukommen. Der Mann verlässt also an seinem letzten Amtstag etwas traurig das Ministerium, in dem er jahrelang unumschränkt
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