Steinbrück - Die Biografie
Sonntag. Noch als Bundesfinanzminister landet er am frühen Morgen dieses 27. September 2009 auf dem Flughafen Berlin-Tegel. Der Himmel über der Hauptstadt ist wolkenlos, es verspricht noch einmal spätsommerlich warm zu werden. Aber für den Sonnenaufgang und die heitere Morgenstimmung hat Steinbrück keinen Blick. Wie wird der Tag enden? Kann er weiter als Minister in der Regierung sitzen, oder steht er am Abend als Verlierer da?
Noch im Flugzeug verabschiedet er sich höflich von Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit der er gerade den G-20-Gipfel im amerikanischen Pittsburgh absolviert hat. Keiner der beiden weiß, ob ihre gute und von Parteigrenzen ungetrübte Zusammenarbeit eine Fortsetzung finden wird. Merkel schüttelt ihrem loyalen Kassenwart die Hand. Egal wie die Bürger die Bundestagswahl im Laufe dieses Sonntags entscheiden, die Kanzlerin dankt Steinbrück ausdrücklich für seinen Einsatz und für die angenehme und konstruktive Regierungsarbeit während der letzten Jahre.
»Die beiden verstehen sich und würden wohl am liebsten zusammen weitermachen« – so eine häufig zu hörende Einschätzung in diesen Tagen. Dieser Eindruck ist nicht nur bei der Reisedelegation entstanden oder der Fantasie einiger Journalisten entsprungen, sondern wird jetzt am Ende der abgelaufenen Legislaturperiode vom gesamten politischen Berlin geteilt. Zu offenkundig ist die gegenseitige Wertschätzung. Die Härten des gerade beendeten Wahlkampfs und die unvermeidbaren Auseinandersetzungen haben daran nichts ändern können.
Nach der Landung steigt der noch amtierende Finanzminister und stellvertretende SPD-Vorsitzende in den gepanzerten Dienstwagen, der wie immer in den letzten vier Jahren am Rand des Rollfelds auf ihn wartet. Einem kurzen Impuls, vielleicht ein letztes Mal im Ministerium vorbeizufahren, gibt Steinbrück nicht nach. Zwar liegt in dem grauen Nazibau an der Berliner Wilhelmstraße genug Arbeit. Aber das hat Zeit bis morgen – wenn dann nicht sowieso jemand anderer dafür zuständig sein wird.
Vom Auto aus erledigt er einige Telefonate. Die Liste der Rückrufbitten ist lang. Sein Berliner Büro, die Helfer in seinem Wahlkreis Mettmann bei Düsseldorf und auch die Leute aus dem Willy-Brandt-Haus wollen mit ihm sprechen. Die Unsicherheit bei den Sozialdemokraten lässt sich mit Händen greifen. Zuletzt sind die Umfragewerte zwar wieder etwas gestiegen, doch die insgeheim erhoffte Fortsetzung der Großen Koalition erscheint inzwischen als sehr zweifelhaft. Und von mehr als einer Regierungsbeteiligung in der Rolle des Juniorpartners träumen die Genossen schon lange nicht mehr.
Von seiner kleinen Berliner Wohnung aus ruft Steinbrück seine Frau Gertrud in Bonn an. Er erzählt ihr kurz von der Reise in die USA und erkundigt sich, wie es »zu Hause« läuft. Zu Hause, das ist für den rastlosen Berufspolitiker der kaum genutzte Garten mit dem alten Kirschbaum und das geräumige Haus im beschaulichen Stadtteil Bad Godesberg. Hier am Rhein, in diesem früheren Diplomatenviertel der alten Bundeshauptstadt, zwischen Patriziervillen, Einfamilienhäusern und Gründerzeitbauten, hat die Familie Steinbrück Wurzeln geschlagen. Seit über 30 Jahren.
Schon seit geraumer Zeit überlegt das Ehepaar, wie es im Fall der Fälle nach der Wahl weitergehen soll. Gertrud Steinbrück, die promovierte Biologin, unterrichtet seit Langem an einem Bonner Gymnasium – als Frau eines Spitzenpolitikers hat sie sich ihr eigenes Leben eingerichtet. Sie ist zu klug und zu selbstbewusst, um sich von den kleinen Lücken im Terminkalender ihres Mannes abhängig zu machen. Dennoch hätte sie nach den vielen Jahren des ewigen Herumhetzens und der ständigen Abwesenheit nichts dagegen, wenn ihr Mann irgendwann einmal ein wenig zur Ruhe käme und sie beide etwas mehr Zeit miteinander verbringen könnten.
Vor allem die letzten beiden Amtsjahre während der Finanz- und Wirtschaftskrise waren fast unmenschlich. Nächtliche Krisensitzungen, an den Wochenenden Sondergipfel, Telefonkonferenzen, Koalitionsrunden und die häufigen Reisen verwandelten das ohnehin schwierige Amt des Bundesfinanzministers in eine zentnerschwere Bürde. Obwohl Steinbrück heute ungern darüber spricht, so schwebte doch über der kräftezehrenden Dauerbelastung die ständige Furcht, das instabile und taumelnde Weltfinanzsystem könnte von einem Augenblick auf den anderen vollständig kollabieren.
Monatelang gönnte Steinbrück sich keinen einzigen freien Tag, monatelang
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