Steine der Macht: Das Isais-Ritual am Untersberg (German Edition)
Bergen zu sehen, obwohl über ihnen bereits ein blauer Himmel sichtbar war.
Am Weg angelangt, sahen sie schon von Weitem einige Pferdefuhrwerke, welche mit Salzfässern beladen aus Richtung Berchtesgaden kamen.
„Das klappt ja wie am Schnürchen“, sagte Wolf mit einem Lachen. „Die werden uns bestimmt mit zum Fluss nehmen.“
Als das erste der Fuhrwerke an ihnen vorbeikam, rief Wolf: „Gott zum Gruß, lieber Fuhrmann, kann Er uns zur Verladestelle an der Salzach mitnehmen?“
Der Mann auf dem Bock nickte, hielt seine Pferde an und bedeutete Wolf und Linda, auf den Wagen zu steigen. „Der Herr wird’s dir vergelten!“, rief Wolf und musste sich festhalten, als die Rösser wieder weitertrabten. Nach wenigen Minuten erreichten sie schon die Wegkreuzung beim alten Gasthof. Der Kutscher blieb direkt vor dem Marmorbrunnen stehen. In diesem Moment kam der Wirt, ein Mann von gut fünfzig Jahren, zur Tür heraus, um dem Fuhrmann etwas mitzugeben. Als er Wolf und Linda sah, erstarrte der Wirt beinahe vor Schreck. Er blickte die beiden an, als wären sie Gespenster. „Du, ich glaube, der hat bemerkt, dass wir gar keine Mönche sind“, flüsterte Linda kleinlaut zu Wolf und senkte ihren Kopf, damit der Wirt sie nicht ansehen konnte.
„Nein, das gibt es nicht“, antwortete Wolf leise und rief dem staunend neben dem Fuhrwerk stehenden Wirt zu: „Der Herr möge dich segnen!“
Wie elektrisiert fuhr dieser hoch. „Ich könnte bei der heiligen Jungfrau schwören, dass ich euch schon begegnet bin. Ihr wart damals auf dem Wagen eines Weinfuhrmannes hierhergekommen. Ich war damals ein Knabe von vierzehn Jahren und habe neben meinem Vater gestanden, als er euch geraten hatte, nicht in den dunklen Untersbergwald zu gehen. Ihr wolltet aber unbedingt noch am selben Abend weiterziehen und seid trotz aller Warnungen doch in den Wald hineingegangen. Ein Bauer, weit draußen im Moor, hat in jener Nacht rote Blitze und gewaltigen Donner vom Bergwald her wahrgenommen. Als der Jäger am nächsten Tag nach euch suchen wollte und euren Spuren folgte, fand er zwei tote Räubergesellen, ganz in der Nähe, dort, wo auch eure Fußspuren endeten. Die Mordgesellen hatten viele Löcher in ihren Leibern, als wären sie von unsichtbaren Pfeilen durchbohrt worden. Von den zwei Mönchen aber hat man nie wieder etwas gehört.
Und nun, nach fast vierzig Jahren, sehe ich euch wieder. Ich bin mir ganz sicher, dass ihr es seid. Und ihr seht auch noch genau so aus wie damals. Wo um Himmels Willen seid ihr gewesen?“
Der Wirt schien sich nicht fassen zu können. Wolf, der wusste, dass sie sich keine langen Befragungen durch wen auch immer leisten konnten, antwortete geistesgegenwärtig: „Der mächtige Kaiser im Untersberg hat uns vor den Räubern gerettet, und wir haben noch eine Weile bei ihm im Berg verbracht, bevor wir wieder herausgekommen sind. Er darf dieses Geheimnis aber niemandem weitersagen, ansonsten wird Er auch in den Berg geholt. Weiß Er es jedoch zu bewahren, so wird sein Gasthof wachsen und gedeihen. Auch in Hunderten von Jahren wird man noch vom Schornwirt reden. Leute in eisernen Kutschen werden hier einst in ferner Zukunft zu Gast sein, und sie werden aus aller Herren Länder hierherkommen. Gott zum Gruß und Lebewohl!“
Der Wirt schien wegen der Prophezeiung des Mönchs nun vollends verstört zu sein. Er wollte sich aber daran halten.
Das Fuhrwerk setzte sich wieder in Bewegung, und noch bevor der arme Wirt, der nun völlig durcheinander war, etwas erwidern konnte, war es seinen Blicken entschwunden.
Der schwer beladene Wagen ächzte unter der Last der vielen Salzfässer, als sie die Verladestelle am Ufer der Salzach erreichten. Dort wurde bereits ein Fuhrwerk entladen und die Salzfässer auf ein breites Holzboot, welches an einer Rampe vertäut lag, geschlichtet. Wolf bedankte sich beim Kutscher und ging hinunter zum Bootsführer. „Guter Mann, wir sind zwei arme Mönche und möchten heute noch nach Altach, um dort dem ehrwürdigen Pfarrer bei der Christmette beizustehen. Hat Er noch einen Platz für uns auf dem Schiff? Unser Gewicht wird es doch sicher auch noch vertragen.“
Der Schiffmeister musterte Wolf und Linda langsam von oben bis unten und erwiderte: „Weil heute die letzte Fahrt ist, nehme ich euch mit. Dann ist die Schifffahrt eingestellt bis März. Und zudem ist morgen ja Christtag, da kann ich zwei Mönchen ihre Bitte nicht abschlagen. Also steigt in Gottes Namen aufs Schiff. Bei dem kleinen Mönch
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