Steine der Macht: Das Isais-Ritual am Untersberg (German Edition)
werden.“
„Wir wollen hoffen, dass die Schiffer bei der Mitternachtsmesse nicht enttäuscht sein werden. Als Organist wäre mir die Orgel schon lieber gewesen“, antwortete der Lehrer.
Jetzt stand auch Linda auf und gratulierte den beiden. Als sie dem Lehrer die Hand gab, rutschte der Ärmel ihres Pullovers unter der Kutte hervor. Gruber ergriff den Stoff mit den Fingerspitzen und meinte: „Das ist ja ein wunderbar gewebtes Stück, ein edler Stoff. Woher habt ihr das, wo gibt es so etwas zu kaufen? Ihr müsst wissen, ich habe seit meiner Jugend viele Jahre bei meinem Vater am Webstuhl gearbeitet, und da habe ich ein Auge für so etwas.“
Linda wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. Dieser Gruber war ja als Lehrer schließlich ein Kollege von ihr, und sie wollte ihn deshalb auch nicht anlügen, also antwortete sie: „Solche Stoffe werden mit speziellen Webverfahren hergestellt, die man hierzulande nicht kennt, aber wir sind als Wandermönche viel auf Reisen, und da gibt es schon manchmal Dinge, die sehr seltsam sind.“
Wolf fragte den Lehrer, ob sie das Lied nochmals spielen könnten, dann würden er und Linda auch gerne mitsingen.
Dieser entgegnete: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie den Text des Liedes so schnell behalten wollen, es sind doch immerhin sechs Strophen, und Sie haben ihn doch erst einmal gehört! Der Kirchenchor hat einige Zeit gebraucht, um sich den Text zu merken.“
„Wir werden es einfach versuchen“, meinte Linda, und Gruber griff zur Gitarre. Dann sangen alle vier gemeinsam im Pfarrhof bei Kerzenschein das großartige Weihnachtslied.
„Das ist fast unglaublich“, staunte der Hilfspfarrer. „Sie haben alle Strophen mitgesungen, so als ob Sie dieses Lied schon immer gekannt hätten. Ich werde mich freuen, wenn Sie heute bei der Mitternachtsmesse auch mitsingen können. „Das werden wir“, antwortete Wolf, „es wird uns eine Ehre sein.“
Der Lehrer antwortete:
„Der alte Pfarrer hier in Altach, ein richtig sturer Mensch, will zwar nicht, dass in der Kirche Gitarre gespielt wird. Außer der Orgel kommt für ihn nichts anderes infrage. Wir werden aber trotzdem singen, und die Gitarre ist auch dabei.“
„Eine Frage habe ich noch“, meinte Wolf. „Wissen Sie, wo wir hier eine Unterkunft für heute Nacht bekommen können? Morgen müssen wir ohnehin wieder weiter.“
„Wir haben hier im Pfarrhaus noch eine Kammer mit Betten, da können Sie übernachten“, erwiderte der Hilfspfarrer.
„Herzlichen Dank für die Gastfreundschaft. Unser Herr möge es Ihnen vergelten. Wir möchten uns draußen noch etwas umsehen, aber keine Sorge, wir werden pünktlich zur Messe in der Kirche sein.“ Mit diesen Worten erhoben sich Wolf und Linda und gingen in die eisige Winternacht hinaus. Die Kirche stand unweit des Flusses, und sie spazierten am Uferweg entlang. Der Wind war mittlerweile heftiger geworden.
„Wie gut, dass ich meine Angoraunterwäsche angezogen habe“, meinte Linda, und Wolf lachte: „Ein Mönch von vor zweihundert Jahren mit moderner Unterwäsche, das ist doch ein bisschen kurios, meinst du nicht?“
„Und du“, gab Linda schnippisch zurück, „du hast doch einen Power-Laser in deiner Kutte eingesteckt. Ist das nicht auch eine Kuriosität?“
„Gut, dass du mich an den Laser erinnerst, damit können wir jetzt nachsehen, wie spät es ist.“ Schemenhaft konnten sie am gegenüberliegenden Ufer des Flusses die Stiftskirche der Grenzstadt Laufen sehen. An deren Turm waren im Gegensatz zu dem der Nikolakirche vier Zifferblätter angebracht, die man aber jetzt in der Nacht nicht mehr sehen konnte. Wolf nahm seinen grünen Laser heraus und stellte ihn so ein, dass er wie der Strahl eines stark gebündelten Scheinwerfers funktionierte. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, zielte er auf den Turm der Stiftskirche und drückte auf den Einschaltknopf. Nach wenigen Sekunden konnten die beiden am hellgrün erleuchteten Ziffernblatt die Uhrzeit ablesen. Es war acht Uhr abends.
Rasch schaltete Wolf den Laser wieder aus und steckte ihn in seine Tasche.
Nun setzte auch noch leichter Schneefall ein. Es wurde etwas ungemütlich, und daher suchten sich die beiden ein Wirtshaus, wo sie ein warmes Essen bekommen konnten. Außer dem Wirt befand sich niemand in der Gaststube, es war ja Heiliger Abend, da saßen auch die Schiffsleute bei ihren Familien zu Hause.
Wolf wusste bereits seit dem Ausflug in die Mozartzeit, dass Bier in dieser Zeit
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