Steinfest, Heinrich
es sich einwandfrei um
Menschen. Bei den hier aufmarschierenden Buben und Bübchen hingegen - deren
Aufgabe es war, alles und jeden zu infizieren - handelte es sich um
frankensteinsche Kreaturen. Monster wäre das falsche Wort, denn Monster haben
in der Regel Charisma, eine Aura, einen Geruch. Die Buben und Bübchen aber
rochen nicht. Selbst wenn sie betrunken waren, war ihr Atem ohne jede Spur
einer olfaktorischen Auswirkung.
Und nun geschah es, daß immer mehr Buben und Bübchen aus
den Löchern kamen. Wie bei einer Nachbestellung.
Das also war die PR-Lehre, welche die Politik gezogen
hatte: die eilige Produktion von Buben und Bübchen, in der Hoffnung, die Gesellschaft
lasse sich auf diese Weise - wie so oft schon - vergiften.
Für Rosenblüt waren diese PR-Manöver jedoch der Inbegriff
politischen Versagens. Zudem sinnlos, weil große Teile der Stuttgarter Bürgerschaft
in einen unvergiftbaren Zustand übergegangen waren.
Er selbst war freilich auch nicht sehr erfolgreich
gewesen. Der Mann, der Tobik war und höchstwahrscheinlich plante, den Sprecher
des Bahnprojekts zu töten, war entkommen. Die Fahndungen hatten absolut nichts
gebracht. Der Mann schien sich erneut in einen unsichtbaren Raum begeben zu
haben. Und auch dies war ja bereits erwähnt worden: ein Teil von Rosenblüt war
recht froh darüber.
Um so mehr meinte sich der Kommissar nun auf die Adiuncten
konzentrieren zu müssen. Denn immerhin war das ja noch immer der eigentliche
Fall, den er verfolgte: die Einschüchterung des Münchner Professors Uhl
beziehungsweise der Überfall auf dessen Sohn. Allerdings war da
bedauerlicherweise niemand in Stuttgart, der Zeit und Lust hatte, sich mit
Fabian und seinen Bundesbrüdern zu beschäftigen. Weil Rosenblüt sich jetzt
aber schwertat, in seinem Hotelbett zur Ruhe und in den Schlaf zu finden -
wofür keineswegs das Bett verantwortlich gemacht werden konnte oder die
Einrichtung dort -, nutzte er die Zeit und beschattete den emeritierten
Geologieprofessor. Selbstverständlich, ohne dafür eine spezielle Erlaubnis zu
besitzen, doch Doktor Thiels so salopp wie unspezifisch hingeworfene "Erteilung
von Befugnissen" reichte für Rosenblüt vollkommen aus. Was er hier tat,
tat er für die Sache: die "kriminalistische Sache", das Kunstwerk der
Ermittlung.
Auf einen Wagen des Polizeipräsidiums hatte er verzichtet,
um nicht unnötig Wellen zu schlagen, und sich statt dessen ein Mietauto
besorgt. Mit diesem war er am Abend Fabian und dessen Gattin zu einem
Restaurant gefolgt, wo das Paar sich mit Freunden verabredet hatte. Hernach
hatte der Professor seine Frau nach Hause gebracht und war dann alleine zum
Stammsitz der Adiuncten gefahren.
Vor diesem Haus parkte nun Rosenblüt und sah hoch zu den
großen Fenstern des ersten Stocks, wo eine kleine Gesellschaft zu erkennen
war. Rosenblüt hätte große Lust gehabt, einmal mehr unangemeldet in die Runde
zu platzen und einzig durch sein Auftreten eine Unsicherheit zu provozieren.
Aber es war kaum anzunehmen, daß Fabian ihm dafür Gelegenheit bieten würde.
Blieb die Möglichkeit, sich Zutritt zu verschaffen, ohne an der Türe zu
klingeln.
Rosenblüt verließ den Wagen.
"Komm, Kepler", sagte er zu seinem Hund, und
gemeinsam traten sie durch die offene Einfahrt vor die Eingangstüre. Dort
verharrten sie. Rosenblüt überlegte, daß es eigentlich unvernünftig war, den Hund
mitzunehmen, wo er doch in Erwägung zog, durch ein Fenster einzusteigen,
vielleicht sogar, an der Hausmauer hochzuklettern. Andererseits hatte sich ja
gezeigt, wie wertvoll Kepler gerade dadurch sein konnte, auf der Straße
zurückgelassen zu werden.
In dem Moment, da Rosenblüt in derartige Gedanken und
Überlegungen vertieft war, registrierte er verschiedene Stimmen, deren Richtung
er nicht sofort zuordnen konnte. Nun, es waren Stimmen aus dem Haus. Die
massive, hölzerne Türe öffnete sich. Zu spät für Rosenblüt, um zur Seite zu
springen. Und Kepler sprang aus Prinzip nicht, außer vielleicht, wenn man ihn
anwies, sich in einen bequemen VW-Bus zu begeben. Ein solcher Bus war aber weit
und breit nicht zu sehen. Statt dessen trat jetzt ein älterer Herr aus dem
Haus. Es war Fabian. Er schüttelte jemandem die Hand. Dieser Jemand bat Fabian
eindringlich, aufzupassen. Fabian schnaufte verächtlich und sagte: "Ich
denke nicht, daß sich Uhl einen zweiten Fehler erlaubt."
Aus dem Ende dieses Satzes sich souverän heraushebend,
wandte sich der Professor zur Einfahrt hin und bemerkte nun also den
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