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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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Menschen veranschaulichte, wie es einmal sein
würde, wenn der Bahnhof unter der Erde war? Die Welt und der Himmel fern, die
Luft klein und eng, mehr ein Lüftlein, aber ein stickiges. Die Macht defekter
Klimaanlagen. Die einzige Macht, die die meisten Maschinen - vor allem die
schlaflosen, denn auch die gab es - noch besaßen: nämlich mit voller Absicht nicht zu
funktionieren und solcherart Ärger zu verursachen, Unwohlsein, Beklemmungen.
    Rosenblüt verließ die Kabine und folgte dem Gang, einem
betonverkleideten Stollen, der in eine einzige Richtung führte. Am Ende dieser
Verbindung bemerkte er hinter den Lamellen eines milchigweißen Vorhangs die
Konturen einer kleinen unbewegten Gestalt, bei der es sich nur um Fabian
handeln konnte. Unsicher, was im Moment zu tun war, unsicher vor allem ob der
überraschenden Verlagerung ins Erdinnere, blieb Rosenblüt stehen. Er wartete.
Er wartete wie ein Pfeil in der Luft, der zwar abgeschossen worden ist, aber
mit einem Mal, mitten im Flug, Zweifel bezüglich des Ziels zu hegen beginnt.
Ein Zögern in der Luft, gleich dem Flimmern auf heißen Straßen.
    Um diesem Zögern einen richtigen Platz zu geben, nutzte
Rosenblüt den Umstand einer seitlich angebrachten Öffnung, vielleicht ein
schmaler Tunnel, ein Verbindungsschacht, vielleicht der Durchgang zu einem
Lagerraum oder eine bloße Nische, jedenfalls unbeleuchtet, so daß Rosenblüt ein
weiteres Mal in einen Schatten eintreten konnte, diesmal aber den gesamten
Körper in den steinernen Block der Verdunklung setzend.
    Das war nicht dumm gewesen. Denn kurz drauf vernahm er
wieder das ferne Geräusch des sich bewegenden Aufzugs, danach Schritte. Die
Person, der diese Schritte gehörten, war ganz sicher kein zögerlicher Pfeil.
Vielmehr schob sie nun mit einiger Vehemenz die Lamellen zur Seite und trat in
den Raum, in welchem sich Fabian aufhielt.
    Dieser schien erstaunt. Rosenblüt, der ja praktisch um die
Ecke stand, vernahm die strenge Stimme, mit der Fabian die eingetretene Person
ansprach: "Wer sind Sie denn? Was
tun Sie hier?"
    "Meine Name ist Kingsley", meldete sich die
Stimme einer Frau. Schöne Stimme. Ein wenig hart, aber gut hart, wie man das
etwa von Bambusstäben sagt.
    "Na und?" gab sich Fabian abweisend. "Das
befugt Sie kaum, an diesem Ort zu sein."
    "Ich vertrete Herrn Professor Uhl."
    "Was soll der Unsinn, junge Frau? Ich rede mit Uhl,
aber sicher nicht mit Ihnen."
    "Nun, wenn Sie nicht möchten, macht das nichts.
Ohnehin bin ich eigentlich nicht gekommen, um mich zu unterhalten."
    "Was soll das jetzt wieder heißen?" fragte
Fabian.
    "Hab ich's nicht gewußt? Sie wollen also doch reden."
    "Sagen Sie schon, was los ist! Wo ist Uhl?"
    "Uhl ist fort."
    "Wie fort?"
    "Er hat mit seiner Familie Deutschland verlassen. Er
hat sich in Sicherheit begeben. Weit entfernt von Ihnen und Ihren Freunden,
weit entfernt von allem und jedem."
    "Von mir aus", kommentierte Fabian gelassen. "Das
ist sowieso besser. Um so weiter er weg ist, um so weniger Schaden kann er
anrichten. Wäre er von Beginn an vernünftig gewesen, hätten wir uns ersparen
können, ihm zu drohen. Glauben Sie denn, daß es Spaß macht, einem guten Freund,
einem Mann, der einmal mein Schüler war, auf diese Weise die Hölle heiß zu
machen? Aber etwas anderes hätte er nicht verstanden. Jemandem nur halb drohen,
bringt nichts. Man kann eine Wunde nicht halb öffnen und
auch nicht halb verschließen oder eine Amputation
in der Hälfte unterbrechen. Oder? Das wäre kontraproduktiv."
    "Sein geologisches Gutachten war wohl nicht das, was
Sie im Sinn hatten", stellte Kingsley fest.
    "Das auch", sagte Fabian. "Aber Sie sollten
doch wissen, daß das nicht der springende Punkt war. Der springende Punkt war,
daß unser lieber Freund Uhl der ganzen Welt erzählen wollte, was für ein tolles
Ding er im Erdreich des Parks gefunden hat."
    "Dieses hier?"
    "Ja, natürlich dieses hier", sagte Fabian und
wurde lauter: "Herrgott noch mal, so ein Narr, der Uhl! Vergißt
vollkommen, auf wessen Seite er steht, wem er alles verdankt, sein Wissen,
seine Position, seinen guten Ruf, seine Ehre - ist vollkommen blind gegen die
Realität."
    "Offensichtlich fand er, es sei nicht der richtige
Moment für Dankbarkeit. Zumindest Dankbarkeit gegenüber seinen Stuttgarter
Freunden. Offensichtlich hat er sich eher der Wahrheit verpflichtet gefühlt."
    "Papperlapapp! Wahrheit! Die Wahrheit besteht nicht
per se, sie ist formbar. Darum sind wir Menschen überhaupt auf der Welt, um der
Wahrheit

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