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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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Baumhauses
fürchtete. Keiner schaute hinüber zum Planetariumsgebäude, dessen Schicksal es
gemäß der S-21-Planungen ja sein sollte, gleich einem traurigen Überbleibsel am
Rand der künftigen Baugrube dahinzuvegetieren.
    Eingehüllt in den Schatten der Trägerkonstruktion
postierte Tobik seine für eine solche Distanz gerade noch geeignete und zum
Pfeilgewehr umgerüstete Waffe und justierte ein Nachtsichtzielfernrohr, welches
eine fünfunddreißigtausendfache Verstärkung des vorhandenen Restlichts
ermöglichte, mehr als genug, wenn man bedachte, daß man nicht in der Wüste war
und sich das Ziel nahe einem illuminierten Mercedesstern befand. Auch hatte
Tobik jetzt den beträchtlichen Vorteil, nicht ein bewegtes, sondern ein
vollkommen stillstehendes Objekt treffen zu müssen, einen dicken Balken, der
von Aktivisten aufgestellt worden war, die sich im Bahnhofsturm hatten
einsperren lassen und sich nun auf der Aussichtsplattform befanden.
    Das Fernrohr stammte übrigens aus der Manufaktur eines
österreichischen Büchsenmeisters, was zusammen mit der englischen Herkunft
des Gewehrs und einer zur Pfeilmunition verwandelten slawischen NATO-Patrone
(die Hände Gottes) sowie der schwäbischen Abstammung des Schützen eine recht
schöne europäische Gemeinschaft ergab. Eine Gemeinschaft, die auch
funktionierte. Tobik schoß, und Tobik traf. Gleich beim ersten Mal. Die
Aktivisten oben am Turm hätten dabei gar nicht in Deckung gehen müssen.
    Nachdem Tobik getan hatte, worum Mach ihn gebeten hatte,
geleiteten ihn zwei der jungen Leute - die alle sehr freundlich waren und so
aussahen und redeten, als wären sie Teil einer bestens ausgerüsteten
Südpolexpedition - wieder nach unten. Dort angelangt, in der Ecke hinter dem
Keplersaal, einer Ecke, die ihrerseits wie eine unsichtbare Zone
funktionierte, traf er Mach, während die Jungen Leute" die mühselige
Arbeit in Angriff nahmen, von der Planetariumsspitze eine Folge stärker
werdender Seile hoch zum Turm zu befördern.
    Mach und Tobik gaben sich die Hand. Weil aber keiner von
ihnen ein Nachtsichtgerät vor seinen Augen hatte, konnten sie sich kaum sehen.
    Müssen Männer sich sehen, wenn sie sich ohnehin spüren?
Sicher nicht. Wolf Mach sagte einfach: "Danke!"
    Tobik erwiderte mit Goethe: "Sehe jeder, wo er
bleibe, und wer steht, daß er nicht falle!"
    Mach nickte in die Schwärze hinein und erklärte: "Bin
ich einmal auf dem Seil, dann falle ich auch nicht."
    "Gut so." Tobik löste seine Hand aus der Machs
heraus, so bedächtig wie zügig, einer umgekehrten Häutung gleich, wo das Alte
aus dem Jungen schlüpft. Dann verschwand er, von einer Unsichtbarkeit in eine
andere gehend.
    Ende der Rückblende.
     
    Ende der Nachrichten.
    Tobik trank sein Glas leer. Eine Müdigkeit hielt ihn
umfangen. Es war keine ermahnende, sondern eine hilfreiche, höfliche Müdigkeit.
Tobik gab ihr nach, zeigte dem Wirt mittels einer Geste an, er möge die Zeche
der Hotelrechnung beifügen - Tobik gewöhnte sich bereits daran, dank weniger
Handbewegungen komplizierte Sprachmanöver vermeiden zu können -, erhob sich und
ging nach oben in sein kleines Zimmer.
    Als er im Bett lag, sich trotz des Pyjamas nackt fühlend,
nackt und schwer und gleich einem Fisch an Land gespült, spitzte er seine
Lippen und gab der Luft einen Kuß. Der Luft und der Nacht, dem schwebenden
Bild seiner verstorbenen Frau, den Tagen, die noch kommen und hoffentlich gut
sein würden.
    Einfach so die Luft zu küssen war natürlich ein wenig
komisch. Aber war nicht alles ein wenig komisch, was getan wurde, wenn keiner
zusah? Komisch, dennoch passend?
    Tobik schlief ein. Ein Traum kam herbeigeeilt und legte
sich dazu.
     
    Ich will sehen!
     
    Tiefe Nacht. Draußen Stuttgart, und über Stuttgart das
Weltall. Und praktisch zwischen Stuttgart und dem Weltall dieser Seiltänzer,
der da seit zwei Tagen herumturnte, nicht ungeschickt, das mußte man ihm
lassen. Angeblich hatte der Innenminister einen hysterischen Anfall erlitten,
nachdem ihm vom Polizeipräsidenten mitgeteilt worden war, er könne derzeit
einfach nicht sagen, wie selbiger Mann unversehrt vom Seil herunterzuholen sei.
Der Einsatz von Helikoptern wäre viel zu riskant, um so mehr, als man natürlich
die Argusaugen der Öffentlichkeit zu gewärtigen habe, von Medien, die sich nur
mehr bedingt kontrollieren ließen. Vor allem, nachdem es ja mißlungen war, die
Leute aus dem Park zu scheuchen und das Gelände weiträumig abzusperren.
    Der Hinweis mit den Argusaugen

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