Steirerblut
diesen mehrfach gebrochen. Mehr war ihr bei dem Unfall nicht passiert. So gesehen habe sie Glück im Unglück gehabt, erzählte sie. Und noch einiges andere mehr, das Sandra gar nicht interessierte. Schließlich erkundigte sich die redselige Zimmergenossin, was ihr denn widerfahren sei. Sandra hatte keine Lust, mit ihr über die Ursache der eigenen Verletzungen zu reden. Bisher hatte sie alle Gedanken an Mike und seinen brutalen Übergriff erfolgreich verdrängt, und das sollte, wenn es nach ihr ging, auch so bleiben. Doktor Schubert ersparte Sandra vorerst eine Antwort auf Katharinas Fragen, indem er im richtigen Moment das Zimmer betrat – gefolgt von vier jungen Damen in Ärztekitteln und einer mageren Stationsschwester, deren langer Hals an einen Storch erinnerte. Der Primararzt befragte Sandra nach dem Befinden, bevor er sich in endlosem Fachchinesisch an seinen Tross wandte, der in Ehrfurcht zu erstarren drohte. Erst als er eine medizinische Frage an die Jungärztinnen richtete, wagte es eine der Damen, zu sprechen.
Sandra verstand so gut wie gar nichts von dem Kauderwelsch, außer dass der Chef der Unfallchirurgie über ihre Verletzungen und deren Behandlung referierte. Langsam wurde sie ärgerlich. Schließlich ging es hier um ihre Gesundheit. »Dürfte ich dann bitte auch erfahren, was mit mir los ist? So, dass ich es auch verstehe?«, fragte sie dazwischen.
Doktor Schubert sah seine Patientin überrascht an, während die Stationsschwester den Kopf schüttelte, als wäre Sandra ein vorlautes Kind. Umso erstaunter wirkte der Storch, als der Primarius sich bei der Patientin entschuldigte. »Verzeihen Sie bitte, Frau Mohr. Wir Mediziner tendieren leider immer wieder dazu, in unseren Fachjargon zu verfallen«, meinte er lächelnd. »Am besten Sie merken sich das gleich für Ihre Zukunft, meine Damen«, wandte er sich an die Jungärztinnen, die eifrig nickten. Nur der Storch schien beleidigt zu sein.
»Ihr Jochbein ist angebrochen«, erklärte Doktor Schubert. »Nachdem es jedoch im Wangenbereich zu keinerlei Knochenverschiebungen gekommen ist, konnten wir darauf verzichten, eine Platte einzusetzen. Ihre Nase wurde eingerichtet und durch den Gipsverband ruhiggestellt, sodass sie später wieder gerade sein wird. Die Nasenwurzel wird allerdings deutlich breiter bleiben als zuvor. Aber wenn Sie das stört, können wir das gerne mit einem kosmetischen Routineeingriff korrigieren.«
»Eine Schönheitsoperation meinen Sie?« Üblicherweise machte sich Sandra über derartige Eingriffe lustig. Sie konnte einfach nicht nachvollziehen, warum immer mehr Menschen einem oberflächlichen Schönheitsideal nachjagten, das sie ohnehin nie erreichten. Die meisten übertrieben es zudem maßlos und endeten irgendwann mit einer starren, charakterlosen Fratze, einem überdimensionierten Silikonbusen und lächerlichen Schlauchbootlippen als Karikatur ihrer selbst. Aber das war im konkreten Fall nicht das Thema.
»Wir sprechen hier von wiederherstellender plastischer Chirurgie, Frau Mohr. Mit einer herkömmlichen OP aus rein kosmetischen Gründen hat das – aus meiner ethischen und professionellen Sicht jedenfalls – wenig zu tun«, erwiderte Doktor Schubert ernst. Offenbar war er es gewöhnt, sich mit kritischen Fragen auseinanderzusetzen.
»Glauben Sie denn, dass das nötig sein wird?«, fragte Sandra nun doch ein wenig besorgt.
»Das können nur Sie selbst beurteilen, wenn der Heilungsprozess erst einmal vollständig abgeschlossen ist.«
»Und wann wird das sein?«
»Bis alles abgeschwollen und so weit verheilt ist, werden wohl sechs bis acht Wochen vergehen. Den Gips können wir aber schon in einer Woche abnehmen und die Fäden in Ihrer Kopfhaut in zehn Tagen ziehen.«
Sandra schluckte. »Und wann darf ich hier raus, Herr Doktor Schubert?«
»Gibt es denn jemanden, der Sie morgen abholen und übers Wochenende betreuen könnte?«
»Ja, sicher«, antwortete Sandra, ohne nachzudenken. Sie konnte nur hoffen, dass Andrea morgen Zeit haben und sie vom Krankenhaus abholen würde. Wenn sie erst einmal zu Hause war, würde sie schon allein zurechtkommen, war sie überzeugt. Vorausgesetzt, Andrea füllte vorher ihren Kühlschrank auf, in dem bis auf eine angefangene Flasche Weißwein, einige abgelaufene Zitronen-Joghurts und ein Stück alte Butter Leere herrschte. Ob die Kollegen Mike inzwischen festgenommen hatten? Beim bloßen Gedanken an ihren Halbbruder krampfte sich Sandra der Magen zusammen. Auf eine weitere Begegnung
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