Steirerblut
Anblick zu sein.
Bergmann warf ihr einen mahnenden Blick zu. »Das wird schon wieder«, beschwichtigte er die beiden Frauen.
Sie musste zum Fürchten aussehen, wenn sich die taffe Andrea mit Tränen in den Augen von ihr abwandte, vermutete Sandra. Kein Wunder, dass ihr alles wehtat.
»Kannst du mir sagen, was passiert ist, Sandra?«, erkundigte sich Bergmann.
»Mike«, flüsterte sie und schloss die Augen. Konnte nicht irgendjemand diese verfluchten Kopfschmerzen abstellen, damit sie endlich schlafen konnte?
»Sandra! Du musst wach bleiben! Komm, sei ein tapferes Mädchen. Der Notarzt ist gleich hier. Alles wird wieder gut. Ich kauf mir Mike«, redete Bergmann auf sie ein.
»Mein Kopf … so weh«, ächzte Sandra.
»Gleich wird’s besser«, flüsterte Bergmann und wandte sich Andrea zu. »Gehen Sie schon mal hinunter, und weisen Sie den Notarzt ein. Und nehmen Sie die Schlüssel mit. Die liegen im Vorzimmer am Boden«, sagte er leise.
Andrea wischte mit dem Handrücken über ihre feuchten Augen, nickte und stand auf. »Ich packe rasch noch frische Wäsche und ihr Zahnputzzeug ein«, sagte sie und verschwand aus dem Raum.
Im Rettungswagen fühlte Sandra, wie die Schmerzen allmählich verebbten. Sie war todmüde, wollte nur noch schlafen. Doch Andrea, die es sich nicht nehmen ließ, sie ins Krankenhaus zu begleiten, plapperte ohne Punkt und Komma auf sie ein, während der Notarzt an ihr rumhantierte. Sie habe die Polizei verständigt, nachdem Sandra ihr nicht geöffnet hatte, erzählte Andrea. Niemand habe ihr helfen wollen, bis sie sich schließlich mit Bergmann verbinden ließ, der sofort zur Stelle war. »Er war der Einzige, der meine Sorge um dich ernst genommen hat«, berichtete sie der verletzten Freundin. »Ich verstehe gar nicht, wieso du ihn mir immer als einen solchen Kotzbrocken beschrieben hast. Der Mann ist doch zuckersüß.«
Sandra wollte auflachen, doch der Versuch endete mit einer schmerzverzerrten Fratze. Zuckersüß war nun wirklich das letzte Attribut, das auf Sascha zutraf. So viel Urteilsvermögen besaß sie selbst noch in ihrem derzeitigen Zustand. Und der war alles andere als erstrebenswert.
Mike hatte ihr zwei Rippen, das Nasenbein und das Jochbein gebrochen. Beide Augen waren inzwischen verfärbt und zugeschwollen. Ihr Körper war mit Hämatomen übersät. Die Platzwunde am Hinterkopf musste genäht werden. Bis auf eine schwere Gehirnerschütterung hatte sie jedoch keine inneren Verletzungen davongetragen, stellten die Ärzte im Krankenhaus fest. Die Patientin würde ein bis zwei Nächte zur Beobachtung hierbleiben müssen und sollte sich danach noch mindestens zehn Tage schonen, lautete die ärztliche Empfehlung. Sandra war momentan alles egal. Sie war nur froh, dass sie keine Schmerzen mehr hatte. Vollgepumpt mit Medikamenten fiel sie bald in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Kapitel 10
Freitag, 24. September – Unfallkrankenhaus Graz
Viel zu früh ging am nächsten Morgen das Licht im Krankenzimmer an und die Nachtschwester schob ihren Nirostawagen mit einem lauten »Guten Morgen, die Damen!« zur Tür herein. Sandra fühlte sich wie durch den Fleischwolf gedreht. Ihr Kopf schmerzte noch immer – wenn auch nicht so heftig wie am Vorabend. Das Atmen fiel ihr schwer. Zum einen wegen der Tamponade in ihren Nasenlöchern, durch die sie keine Luft bekam, zum anderen wegen der verletzten Rippen.
Warum musste der Schichtwechsel des Pflegepersonals ausgerechnet zu solch nachtschlafender Uhrzeit stattfinden? Es war stockdunkel draußen, noch nicht einmal sechs Uhr! Sandras Versuch, sich mithilfe des Triangelgriffs, der über ihr schwebte, aufzusetzen, wurde mit einem stechenden Schmerz im Brustkorb bestraft. Die Schwester reagierte sofort auf ihr Stöhnen und zeigte der neuen Patientin, wie sie den Kopfteil des elektrisch verstellbaren Bettes auf Knopfdruck in eine für sie angenehmere Position bringen konnte. Sandra las das Namensschild auf dem üppigen Busen und bedankte sich bei Schwester Cordula. Dabei erschrak sie über die eigene Stimme, die gequetscht und fremd klang. Ihr Mund war völlig ausgetrocknet, und sie bat um ein Glas Wasser, das sie wenig später gegen das Fieberthermometer eintauschte.
»Fieber haben wir keines, Frau Mohr«, stellte Schwester Cordula zufrieden fest und notierte den Wert. Dann reichte sie der Patientin die Leibschüssel.
»Kann ich denn nicht aufs Klo gehen? Das wäre mir lieber«, sagte Sandra leise.
»Wir können es dann probieren. Warten
Weitere Kostenlose Bücher