Steirerblut
mit ihm konnte sie getrost verzichten. Wenn sie gestern doch bloß ihre Dienstwaffe bei sich getragen hätte.
»Wunderbar«, unterbrach der Herr Primarius ihre aufkeimende Angst. »In diesem Fall können wir Sie morgen gegen neun Uhr dreißig entlassen. Aber bitte schonen Sie sich in den nächsten zehn Tagen. Und nehmen Sie unbedingt Ihre Antibiotika ein, um einer Infektion vorzubeugen.«
Sandra vermutete, dass Schwester Cordula über ihre Medikamentenaversion geplaudert hatte. »Wenn es unbedingt nötig ist«, willigte sie ein. Hauptsache, sie konnte das Krankenhaus bald verlassen, dachte sie erleichtert.
Doktor Schubert verabschiedete sich mit einem breiten Lächeln, das das Weiß seines Ärztekittels vergilbt erscheinen ließ. Als Zahnarzt wäre er selbst seine beste Empfehlung gewesen, dachte Sandra. Als Unfallchirurg schien er ihr nicht weniger kompetent zu sein. Doch dass er als Primararzt bereit war, seine Fehler einzugestehen, machte ihn auch zu einem menschlichen Vorbild. Selbst wenn der alternde Storch das anders sah.
Während Doktor Schubert seine Gefolgschaft ans Nachbarbett führte, nahm Sandra die ›Kleine Zeitung‹, die mit dem Frühstück gebracht worden war, zur Hand und blieb ausgerechnet bei ihrem Horoskop hängen: ›Irgendwie scheinen Sie aus Ihrem Stimmungstief nicht so richtig herauszukommen. Ein Mond-Neptun-Quadrat macht Ihnen zu schaffen. Die Realität gefällt Ihnen momentan ganz und gar nicht. Doch speziell in Sachen Familie und Partnerschaft müssen Sie die Dinge mal sehen, wie sie sind. Dann können Sie Bilanz ziehen und etwas verändern.‹
Na bitte. Wer sagt’s denn? Das Mond-Neptun-Quadrat war also schuld an ihrer Misere. Was für ein Humbug! Warum las sie diesen Unsinn überhaupt? Dass gewisse Charaktereigenschaften auf bestimmte Sternzeichen zutrafen, ließ sie sich gerade noch einreden. Aber wer, bitte schön, glaubte an Zeitungshoroskope? Noch dazu, wenn jede Gazette an ein und demselben Tag für ein und dasselbe Sternzeichen etwas völlig anderes vorhersagte. Sandra legte die Zeitung zur Seite und schloss die Augen. Bilanz ziehen und etwas verändern, wiederholte sie im Geiste. Dann schlief sie ein.
Als Sandra wieder erwachte, stand das Tablett mit dem Mittagessen auf ihrem Nachtkästchen.
»Na? Gut geschlafen?«, erkundigte sich Katharina lautstark und nahm die Kopfhörer ab, mit denen sie eben noch ferngesehen hatte.
Sandra nickte und flehte insgeheim, dass ihre Zimmergenossin nicht gleich wieder losquasseln würde. Unter den Plastikclochen, die Sandra von ihren Tellern hob, verbargen sich eine Frittatensuppe und ein gebackenes Fischfilet mit Petersilerdäpfeln. Dazu gab es grünen Salat und zum Dessert Vanillecreme mit Erdbeersauce. Sandra griff zum Suppenlöffel und testete, ob sie den Mund weit genug öffnen konnte, um die Suppe zu essen.
»Du hast deinen Mann verpasst. Er war vorhin zu Besuch«, berichtete Katharina.
Sandra ließ den Löffel wieder sinken. »Mein Mann? Ich bin doch nicht verheiratet«, nuschelte sie.
»Na, dann war’s halt dein Freund … ein fescher Typ jedenfalls. Und er hat dir wunderschöne Blumen vorbeigebracht. Sieh nur!« Katharina deutete zur Vase, die auf dem Tisch beim Fenster stand. Sandra wusste seit dem frühen Morgen, dass der letzte Freund ihrer Bettnachbarin sie mit einer Zweiundzwanzigjährigen betrogen und sie ihn deshalb verlassen hatte, dass sie seither Single war und sich fortan nur noch mit älteren Männern einlassen wollte … bloß nie wieder mit Gleichaltrigen … blablabla. Während Sandra inzwischen Katharinas halbe Lebensgeschichte kannte, hatte sie so gut wie nichts über sich preisgegeben. Katharina ahnte nicht einmal, dass sie neben einer Kriminalbeamtin lag.
»Du freust dich ja gar nicht über die Blumen. Gefallen sie dir nicht?«, fragte sie besorgt.
»Doch, doch. Sie gefallen mir«, antwortete Sandra und löffelte weiter. Weiße Gladiolen waren ihre Lieblingsblumen. Wer außer Max konnte das wissen? Die Blumen mussten von ihm sein. Aber wer hatte ihn darüber informiert, dass sie im Unfallkrankenhaus lag? »Wie hat der Mann denn ausgesehen?«, erkundigte sie sich bei Katharina.
»Du wirst doch noch wissen, wie dein Freund aussieht?«, lautete die Gegenfrage.
Wieder bemerkte Sandra diesen besorgten Unterton in Katharinas Stimme, als ob sie einen Gedächtnisverlust bei Sandra befürchtete. Langsam nervte die Frau. »Ich habe weder einen Mann, noch einen Freund. Es könnte allerdings mein Exfreund
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