Steirerblut
einziger Lichtblick war die Aussicht auf ihren baldigen Abschied vom Krankenhaus, auch wenn sie noch etwas wackelig auf den Beinen war. Die höllischen Kopfschmerzen, die sich nach der morgendlichen Infusion verabschiedet hatten, waren nur ganz allmählich und in erträglicher Stärke zurückgekehrt.
Der wahre Lichtblick war jedoch Andrea, die Sandras unfreiwilligen Fernsehnachmittag beendete, um mit ihr das Krankenzimmer zu verlassen und in die Cafeteria zu gehen. Wie es Andreas Art entsprach, machte sie sich – nach einer ersten Schrecksekunde – über Sandras Aussehen lustig und nannte sie fortan nur noch Zombie. Sandra bat die Freundin, ihren Humor ausnahmsweise zu zügeln, da ihr das Lachen immer noch Schmerzen bereitete. Dass sie ihren Mitmenschen einen schrecklichen Anblick bot, entging Sandra nicht. Die meisten Leute starrten sie an, um sich sofort erschrocken wieder abzuwenden, sobald sie deren neugierige Blicke freundlich erwiderte. Sogar die Kellnerin der Krankenhaus-Cafeteria, die schon Einiges gesehen haben musste, vermied es beharrlich, ihr ins entstellte Gesicht zu sehen. Dagegen kam Sandra Bergmanns Unart, ihren Blicken auszuweichen, vergleichsweise harmlos vor.
»Hast du Bergmann erzählt, dass ich weiße Gladiolen mag?«, wandte sie sich an Andrea, nachdem die Kellnerin ihren grünen Tee serviert hatte.
»Die waren von Bergmann?« Andrea waren die Blumen im Krankenzimmer also nicht entgangen.
»Den Beschreibungen meiner Bettnachbarin nach könnte der Mann, der die Blumen gebracht hat, während ich geschlafen habe, Bergmann gewesen sein. Obwohl ich noch immer bezweifle, dass er zu so einer netten Geste überhaupt fähig ist. Wahrscheinlich war es ein Bote von Max, der die Blumen geliefert hat«, spekulierte Sandra laut.
»Ich tippe auf Bergmann«, widersprach die Freundin Sandras zweiter Theorie. »Du tust dem Mann ziemlich unrecht, Sandra. Du hättest einmal sehen sollen, wie besorgt Sascha um dich war.«
»Sascha? Ihr seid also schon per Du? Ich kann dich nur warnen, Andrea. Finger weg von ihm!«
»Du willst ihn wohl für dich alleine haben?« Andrea lachte und nahm einen Schluck von ihrem Cappuccino.
»Unsinn. Du weißt doch, dass ich ihn nicht ausstehen kann. Die meiste Zeit jedenfalls nicht. Er ist arrogant, ungehobelt und oberflächlich. Und außerdem ist er verheiratet.«
»Aber er lebt doch schon lange nicht mehr mit seiner Frau zusammen«, verteidigte ihn Andrea.
Sandra wäre beinahe die Teetasse aus den Fingern gerutscht. »Woher zum Teufel weißt du das denn schon wieder? Was habt ihr beiden eigentlich getrieben, während ich hier wieder zusammengeflickt und mit Medikamenten vollgepumpt wurde?«
»Gar nichts. Wir haben uns nur ein wenig unterhalten.«
»Ein wenig? Du weißt nach einer einzigen Begegnung mehr über meinen Partner, als ich nach einem ganzen Monat.«
»Wahrscheinlich hast du nicht die richtigen Fragen gestellt.«
»Ich hab ihm überhaupt keine Fragen gestellt. Jedenfalls nicht über sein Privatleben. Es geht mich doch nichts an, was mein Kollege privat treibt.«
»Ach ja? Dass er diese Tussi in St. Raphael flachgelegt hat, ist dich aber schon etwas angegangen.« Andrea grinste provokant.
»Das war etwas völlig anderes. Er hat eine Kollegin gevögelt. So etwas macht man einfach nicht.« Sandra wusste genau, mit welcher Antwort sie als Nächstes zu rechnen hatte. »Besser, du sagst jetzt nichts«, warnte sie die Freundin, bevor diese sie daran erinnern konnte, dass sie in jener Nacht ebenfalls Sex mit einem Kollegen gehabt hatte. Andrea schwieg und grinste von einem Ohr zum anderen, während Sandra bereute, nicht wenigstens dieses intime Geheimnis für sich behalten zu haben. Sosehr sie Andrea mochte und ihr vertraute, so sehr nervte sie manchmal ihre vermeintliche Überlegenheit in Liebesangelegenheiten.
»Du bist jetzt aber nicht sauer auf mich?«, fragte Andrea scheinheilig.
»Nein. Ich bin selbst schuld.«
»Stimmt, Zombie.«
Statt mit einem Lachen antwortete Sandra mit einem schmerzverzerrten Grinsen.
Andreas Miene wurde wieder ernst. »Wenn es dir lieber ist, rede ich nie wieder mit Bergmann.«
»Nein. Das ist schon okay. Ihr seid schließlich beide erwachsen. Du musst selber wissen, was du tust.«
»Keine Sorge. Ich hab nicht vor, mich mit einem Polizisten einzulassen. Mir reicht es schon, dass ich mir um dich ständig Sorgen machen muss.«
»Sag mal, Andrea: Könntest du mich morgen um halb zehn hier abholen und nach Hause
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