Steirerkind
Forellenzucht. Aber die eigenen Kinder dürfen manchmal hinaus auf den See, wenn sie brav waren und das Eis dick genug ist, hat der Wirt ausgesagt.«
»Haben Sie auch mit den Buben gesprochen?«
»Nur kurz.«
»Wie alt sind sie denn?«
»Jonas ist sechs, Jakob bald acht Jahre alt. Die beiden haben nach dem Puck gesucht, den Jakob verschossen hat, und schließlich die Leiche entdeckt. Sie sind gleich nach Hause gelaufen und haben ihren Vater geholt. Der hat uns dann verständigt«, berichtete Barbara Grübler weiter.
»Wollen Sie mit den Kindern sprechen?«, fragte Johann Seitinger.
»Später. Lassen wir die beiden erst einmal in Ruhe. Sie haben sicher einen ordentlichen Schrecken davongetragen«, meinte Sandra.
»Machen Sie sich da mal keine Sorgen«, widersprach Seitinger. »Ich hatte eher den Eindruck, die beiden haben den Vorfall spannend gefunden. Sie konnten ja von der Leiche nicht viel sehen durch das Eis, außer einer Hand und einem bisschen Stoff. Da ist der Anblick blutiger Leichen in Fernsehkrimis doch wesentlich schlimmer. Auch wenn die natürlich nicht echt sind. Aber in der Fantasie der Kinder …«
Sandra bezweifelte, dass die Buben in diesem Alter schon Krimis anschauen durften, erst recht, dass sie dermaßen hart gesotten waren, um einen Leichenfund so mir nichts, dir nichts wegzustecken.
»Sind Sie sicher, dass die Kinder keine psychologische Unterstützung benötigen?«, fragte sie nach.
Seitinger sah Sandra an, als wäre ihm die Möglichkeit, in einem solchen Fall den psychosozialen Dienst hinzuzuziehen, nicht einmal im Entferntesten in den Sinn gekommen.
»Die Mutter kümmert sich schon um die beiden«, versicherte der Postenkommandant im Brustton der Überzeugung.
»Okay.« Sandra nickte zögerlich. Sie würde später mit den Kindern sprechen, um sich selbst ein Bild zu machen, ob sie professionelle Hilfe benötigten oder nicht. Auch die Eltern würden sie und Bergmann nachher einvernehmen.
»Vormittags ist also noch kein Schnee auf dem Eis gelegen?«, kehrte sie zum Leichenfund zurück.
»Nein. In diesem Winter hat es bisher kaum Schnee gegeben. In den letzten Wochen war es strahlend schön und bitterkalt. Wir sind heilfroh, dass es heute, so kurz vor Beginn der Alpinen Ski-WM, noch anständig zu schneien begonnen hat.« Zwischen Seitingers dunklem Vollbart mit den grauen Einsprenkelungen blitzte ein Lächeln auf, das den Blick auf perfekt aneinandergereihte weiße Zähne freigab.
Sandra lächelte zurück. Der freundliche, bodenständige Mann war ihr auf Anhieb sympathisch gewesen. Außerdem gönnte sie der Region Schladming-Dachstein ein gelungenes ›Skifest mit Herz‹, wie es der Slogan der Ski-WM so treffend formulierte. Das Grüne Herz war, seit sie denken konnte, das Logo der Steiermark, und ein solches Mega-event die beste Werbung für das ganze Bundesland, ja für die gesamte Alpenrepublik, die nicht zuletzt auch vom Tourismus lebte. Wäre es jedoch nach Sandra gegangen, hätte Wintertief ›Leon‹ ruhig noch eine Weile auf sich warten lassen können, wenigstens, bis sie ihre Arbeit hier erledigt hatten. Bei den frostigen Temperaturen der vergangenen Wochen hätten auch die unzähligen Schneekanonen ausgereicht, um die Pisten für die WM-Rennen und den Gäste-Skilauf zu beschneien. Aber das Wetter konnte man sich bekanntlich nicht aussuchen.
»Ich frage mich, warum der Tote erst jetzt gefunden wurde«, fuhr Sandra laut fort. »Der Steirische Bodensee ist doch auch im Winter ein beliebtes Ausflugsziel, das Wanderer anlockt. Soweit ich mich erinnern kann, führt der Weg direkt am See vorbei.«
»Sogar rund um den See herum«, bestätigte Barbara Grübler. »Die Leichenfundstelle ist aber durch eine Baumgruppe und dichtes Gestrüpp vom Wasser getrennt. Vom Land aus ist der See dort kaum zugänglich und vor Blicken geschützt. Alle anderen Uferstellen mit Sicht dorthin sind zu weit entfernt. Da müsste man schon mit einem Fernglas ausgestattet sein, um eine Leiche unter der Eisdecke zu entdecken. Wenn überhaupt …«
»Und Sie halten den Toten tatsächlich für diesen vermissten Wintersberger vom Österreichischen Skiverband?«, meldete sich Bergmann zu Wort.
Seitingers Miene verfinsterte sich schlagartig.
»Der Wirt ist sich sicher, dass er es ist. Und wir sind es auch«, antwortete er, während Barbara Grübler nickte.
»Die Leiche ist in einem erstaunlich guten Zustand«, fuhr er fort. »Die Familie kannte Roman Wintersberger sehr gut. Er war so was wie der
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