Steirerkind
Bargeldbehebung am 23. Dezember 2012 hat vermutlich noch Ihr Mann getätigt«, überlegte er laut.
Und? Was sollte daran so außergewöhnlich sein?, fragte sich Sandra insgeheim.
»Die 400 Euro wurden erst gestern beim Bankomat in der Schulgasse in Schladming abgehoben. Sind Sie sicher, dass das nicht Ihre Karte ist? Oder dass Sie die beiden Karten irrtümlich miteinander vertauscht haben?«, fragte Bergmann nach.
»Ganz sicher. Ich kenne doch Romans PIN-Code gar nicht. Außerdem war ich gestern weder in Schladming, noch habe ich sonst wo Geld von unserem Konto abgehoben.«
Das war allerdings wirklich merkwürdig, wunderte sich Sandra, zumal die Karte des Toten zusammen mit seiner Brieftasche verschwunden war.
»Wir werden die Bildaufzeichnungen des Bankomaten in der Schulgasse anfordern. Von jeder Transaktion gibt es Porträtaufnahmen des Benutzers.« Bergmann notierte die genaue Uhrzeit der Geldabhebung, wie sie am letzten Kontoauszug ersichtlich war.
Mit den Fotos sollten sie demnächst den Kartenbenutzer und vermutlich auch den Mörder von Roman Wintersberger fassen können, hoffte Sandra.
»Gibt es jemanden, der den PIN-Code kannte, außer Ihrem Mann?«, fragte er.
»Das glaube ich nicht, nein. Vielleicht hätte ich die Karte doch lieber gleich sperren lassen sollen, nachdem Roman verschwunden ist. Aber Ihre Kollegen haben gemeint, dass sie eine zusätzliche Chance wäre, meinen vermissten Mann zu finden, falls er seine Karte benutzt.« Da Irene Wintersberger erst seit 24 Stunden wusste, wie ihr Mann verstorben war, habe sie seinen Tod bisher weder der Bank noch den Versicherungen gemeldet, erzählte sie. Sie habe dies im Laufe der Woche oder spätestens in der darauffolgenden vorgehabt, meinte sie auf Sandras Rückfrage.
Mit der Auszahlung der Lebensversicherung hatte es die Witwe demnach auch nicht besonders eilig, überlegte Sandra und griff zu den Kontoauszügen am Tisch, die die Umsätze ab Anfang Jänner auflisteten.
»Gibt es sonst noch Kontobewegungen, die Sie sich nicht erklären können, seitdem Ihr Mann verschwunden ist?«, fragte sie. Der hohe fünfstellige Kontostand war in ihren Augen mehr als beachtlich. Für die Witwe schien er hingegen ganz normal zu sein.
»Nein. Ansonsten ist alles in Ordnung.« Irene Wintersberger nahm die Kontoauszüge wieder an sich und steckte sie zurück in ihre Tasche.
»Okay. Dann war’s das fürs Erste«, antwortete Bergmann abschließend. »Vielen Dank.«
Irene Wintersberger rückte mit ihrem Stuhl nach hinten, um sich zu erheben.
»Noch etwas, Frau Wintersberger«, stoppte Sandra sie.
»Ja? Bitte?«
»Ihre Anspielung von gestern geht mir nicht aus dem Kopf.«
»Welche Anspielung denn?«
»Dass Ihr Mann ein intimes Verhältnis mit Tobias Autischer gehabt haben könnte.«
»Das war keine Anspielung.«
»Sondern?«
»Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ich keine Ahnung habe, was mein Mann außerhalb unserer Ehe getrieben hat. Es hat mich schon lange nicht mehr interessiert.«
»Also glauben Sie nicht, dass er homosexuelle Neigungen hatte?«, versuchte Sandra sie festzunageln.
Irene Wintersberger schüttelte den Kopf.
»Nein. Eigentlich nicht.«
Sandra seufzte. Mit einer solchen Andeutung vor den falschen Zuhörern hätte die Möchtegernpsychologin gehörigen Schaden anrichten können, wusste sie. Was, wenn die Medien davon Wind bekommen und womöglich beide Männer zu Unrecht geoutet hätten? Dem Toten konnte es egal sein. Nicht aber den Menschen, die ihn geschätzt hatten. Erst recht nicht Tobias Autischer, seinen Fans, den Sponsoren und dem Skiverband. Entweder die möglichen Folgen waren der Witwe gleichgültig oder sie wollte diese absichtlich provozieren. Für so dumm, dass ihr diese Gefahr nicht bewusst war, hielt Sandra sie nicht. Noch überlegte sie, ob und wie sie der Frau ins Gewissen reden sollte, als ihr Handy lautlos am Tisch vibrierte, um den Eingang einer SMS zu verkünden.
Irene Wintersberger nutzte die Gunst des Moments und stand auf.
»Kann ich jetzt gehen?«, wandte sie sich an Bergmann.
Der Chefinspektor nickte ihr wortlos zu.
Irene Wintersberger verabschiedete sich von ihnen, warf ihren sündhaft teuren Mantel über den Arm und stöckelte aus dem Verhörzimmer.
»Ich hol mir noch rasch einen Kaffee, bevor wir mit dem Direktor weitermachen«, sagte Bergmann und verließ den Raum.
Sandra griff nach ihrem Handy. Ihr Puls schnellte schlagartig in die Höhe. Der fettige Leberkäse in ihrem Magen drohte wieder
Weitere Kostenlose Bücher