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Stella Menzel und der goldene Faden (German Edition)

Stella Menzel und der goldene Faden (German Edition)

Titel: Stella Menzel und der goldene Faden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly-Jane Rahlens
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Zum ersten Mal während des Essens konnten die anderen sein Gesicht sehen, denn sein Pony – er hing gewöhnlich seitwärts und bedeckte seine Augen und den Großteil seiner Nase – lag jetzt oben auf seinem Kopf. Und plötzlich waren seine Augäpfel für alle sichtbar, leuchtend blau und strahlend wie nichts Gutes. «Siehste!», sagte Marco. «Dann kann ich ja aufhören, den ‹Schimmelreiter› zu lesen. Den mag sowieso keiner in meiner Klasse.»
    «Du wirst den ‹Schimmelreiter› sehr wohl weiterlesen!», sagte Isabel. Sie holte die nasse Wäsche aus der Waschmaschine und steckte sie in den Trockner. Mittendrin wandte sie sich an Stella. «Mal sehen, ob Frau Schiefelbein das immer noch sagt, wenn ihr eine Arbeit schreibt! So ein Unsinn.»
    «Mama!», protestierte Stella. «Frau Schiefelbein meinte nicht Bücher, die wir für die Schule lesen müssen. Nimm doch nicht immer alles so wörtlich. Du bist immer so wahnsinnig –»
    Stella unterbrach sich, als Isabel «Oh» sagte. Sie hatte gerade das letzte Wäschestück aus der Maschine geholt. Es war Stellas Seidensatinbeutel, der auf seine halbe Größe geschrumpft war. Und er hatte nicht mehr die satte dunkelblaue Farbe des Mitternachthimmels über St. Petersburg, sondern eher das bleiche, ausgewaschene Babyblau einer Säuglingssocke.
    «Mein Beutel!», rief Stella. «Wie ist er da reingekommen?»
    Aber sie wusste natürlich, wie er in die Maschine gekommen war. Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie sie den weißen Laborkittel aus dem Rucksack zog und auf den am Boden liegenden Beutel fallen ließ, wie Marco seine schmutzigen Sachen obendrauf warf und alles für die Wäsche aufhob. Es war ihre Schuld. Sie hatte einfach nicht aufgepasst.
    Isabel hielt den Beutel in den Händen und dröselte die Kordel auf, die sich beim Schleudern verzwirbelt hatte. Die Patte steckte innen im Beutel. Sie zog sie heraus. Wie durch ein Wunder war sie nicht ausgeblichen, sondern noch richtig blau, das letzte Überbleibsel eines einst kostbaren, blauen Wandbehangs aus Seidensatin. Aber der Rest des Beutels war bis zur Unkenntlichkeit verwaschen und geschrumpft.
    «Er ist hinüber», jammerte Stella. «Und ich bin schuld.»
    «Ich hab’s dir ja gesagt», meinte ihre Mutter. «Multitasking kann gefährlich sein.»
    Und da war er plötzlich, ihr erster Satz. Stella sprang auf und rannte zu ihrem Computer, bevor sie ihn wieder vergaß.
Multitasking kann sehr gefährlich sein
, tippte sie.
Ich erzähle euch jetzt, wie mein gefährlicher Tag begann
.
     
    «Oh, dear!», sagte Josephine am folgenden Abend, als sie den eingelaufenen blauen Satinbeutel sah. «Oh, dear. Das Erbstück meiner Großmutter.»
    «Mama», sagte Isabel, «das Ganze tut mir wirklich sehr leid, aber so was passiert eben, wenn man einem Kind ein Erbstück aus Seidensatin schenkt. Was um Himmels willen hast du dir nur dabei gedacht?»
    Josephine warf ihrer Tochter einen vernichtenden Blick zu. «Das, meine Liebe, wirst du wohl selbst herausfinden müssen.»
    Isabel seufzte. «Es war schon alt und verfleckt, als du es Stella geschenkt hast. Und jetzt ist der Beutel alt und verfleckt, verblichen und geschrumpft. Wirf ihn weg!»
    «Nein!», protestierte Stella.
    «Gib ihn mir, bitte», sagte Josephine ruhig. «Lass mal sehen.»
    «Mama!», sagte Isabel. «Aus nichts kann man nichts machen!»
    «Pst», sagte Josephine. Sie untersuchte den Rest des Beutels und drehte ihn immer wieder hin und her. «Wenn ihr mich fragt», meinte sie schließlich, «ist noch genügend Stoff übrig, um eine hübsche, kleine Schleife daraus zu machen!»
    «Siehst du!», sagte Stella triumphierend. «Siehst du!»
    Isabel zog die Augenbrauen hoch, seufzte und legte dann die Wäsche zusammen.
    «Also», sagte Josephine zu Stella und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. «Möchtest du die Geschichte von dem verzauberten Stoff hören?»
    «Natürlich», sagte Stella, setzte sich hin und legte einen Arm um ihre geliebte Großmutter. Inzwischen war sie schon größer als sie.
    «Ich würde sie auch gerne hören», sagte Isabel. Sie schenkte sich ebenfalls eine Tasse Kaffee ein und setzte sich ihrer Mutter gegenüber.
    Josephine holte tief Luft und fing an zu erzählen. «Es war einmal im Januar 1919 , weit zurück im letzten Jahrhundert und weit entfernt in Russland, hoch oben an der Ostsee …»
     
    Ein paar Wochen später gingen Stella und ihre Mutter Oma Josephine besuchen. Josephine erholte sich gerade von einer Grippe, und Stella wollte ihr

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