Sten 6 - Morituri-Die Todgeweihten
ein heiliger Ort, von den Berggipfeln des Dhaulagiri, Annapurna und Chomolungma. bis hinab zum Geburtsort des Gautama Buddha im Lumbini-Tal. In der Praxis hieß das, daß es den Nepalesen verwehrt war, zu
"zivilisiert" zu werden. Zwar starben sie nicht mehr an den gleichen Krankheiten wie früher,
Tuberkulose war weitgehend ausgerottet, und ihre Lebensspanne hatte sich deutlich verlängert - wenn auch nicht dem "zivilisierten" Imperialen Standard gemäß -, doch nach wie vor führten die meisten ein entbehrungsreiches, primitives Stammesleben.
Hosford wollte helfen.
Es war nicht erlaubt, sich in Nepal
niederzulassen. Fremden waren Reisen ins Land nur in begrenzter Anzahl und jeweils nur zu kurzen Besuchen erlaubt. Hosford und Maeve fanden eine Wohnung in Darjeeling, in der nicht weit entfernten Provinz Gurkhali, die früher einmal zu einer längst auseinandergebrochenen Nation namens Indien gehört hatte.
Von dort aus tat er, was ihm möglich war. Er unterstützte die Erziehung und die Lehrer drinnen in Nepal, half jedem alten Soldaten, und er half den nicht gerade wenigen, vom Militär abgelehnten, verzweifelten, dicht vor dem Selbstmord stehenden jungen Männern dabei, Arbeit zu finden.
Ihm und anderen ehemaligen Gurkha-Offizieren war es zweimal im Jahr erlaubt, nach Nepal einzureisen, um dort Pensionsgelder zu verteilen, alle möglichen technischen Kurse abzuhalten und neue Rekruten auszusuchen - bis vor sechs Jahren, als der Imperator ermordet wurde und die Gurkhas nach Hause zurückkehrten. Jedes Jahr erhielt Hosford von einem Vertreter des Privatkabinetts den Auftrag, einen weiteren Rekrutierungsversuch zu starten. Jedes Jahr wurde er mit einem Lächeln, einem Whisky und den Worten empfangen: "Wir dienen dem Imperator. Nur ihm."
In den ersten beiden Jahren versuchte er noch zu argumentieren: "Der Imperator ist tot. Wollen Sie etwa Ihre grandiose Militärtradition
vernachlässigen?" Die Antwort lautete: "Nein, Captain. Wir sind nicht dumm. Sobald der Imperator zurückkehrt, sind auch wir wieder zur Stelle. Aber diesem Privatkabinett dienen? Niemals. Sie sind weniger wert als das Schamhaar eines Yaks."
Warum kam er immer wieder zurück? Sein
Auftrag war nur teilweise als Grund dafür anzusehen; das Geld überließ er ohnehin stets den Dorfführern, die nach ihrem eigenen Gutdünken damit verfahren würden. Doch allein in diesen Bergen zu sein, in Nepal zu sein, bei den Nepalesen zu sein, war ihm Anlaß genug.
Ein Jahr noch, stöhnte er. Nur noch einmal. Noch eine Ablehnung. Das muß die letzte sein. Sonst würde man noch eines Tages, nach vielen Jahren, seinen Körper auf einem einsamen Berghang finden, dort, wo ihn sein Herz im Stich gelassen hatte.
Diesmal... Na ja, eigentlich nicht. Vielleicht nächstes Jahr. Aber dann war endgültig Schluß.
Geradeaus lag das Gurkha Center, in dem
Dörfchen namens Pokhara. Hosford verlagerte das schwere Bündel mit den Credits und marschierte weiter. Er wußte, welcher Anblick sich ihm hinter der nächsten Hügelkuppe bot. Das Center - und einige seiner alten Kameraden, die ihn bereits erwarteten. Aus irgendeinem Grund wußten sie immer, wann er auftauchte. Und dann nahmen sie so stramm Haltung an, wie es ihr fortgeschrittenes Alter erlaubte. An ihrer Spitze würde Ex-Havildar Major Mankajiri Gurung stehen, der, falls er nicht tatsächlich sein eigener Sohn war, laut den Imperialen Daten inzwischen über 250 Jahre alt war.
Sie ... aber das war wohl schon alles.
Statt dessen war ganz Pokhara ein einziges Tohuwabohu aus Krach, Musik und jungen Leuten.
Hosford schätzte die Gruppe auf beinahe eintausend junge Männer, die sich zu etwas zusammengefunden hatten, das brüllende alte Männer als militärische Formation bezeichneten und in das hinein sie ständig schrien, daß die Jungen, wenn sie weiterhin ihren Clans und Captain Hosford Schande machten, zu Bündeln zusammengeschnürt und in den Ganges geworfen würden, damit sie endgültig im Meer verschwänden.
Vor dem quirligen Haufen stand Mankajiri und salutierte. Hosford erwiderte den Gruß. Er hätte mit seiner Frage noch warten sollen, aber das war ihm nicht möglich.
"Sind das ... Rekruten?" staunte er laut.
"Jawohl, wie sie hier stehen. Wilde Bergblumen zwar, verglichen mit unseren Kriegern, Captain, aber immerhin Rekruten. Falls sie Ihrem unbestechlichen Auge genügen. Die ärztlichen Atteste liegen für Sie bereit."
"Was ist denn geschehen?"
"Geschehen? Es ist alles beim alten, Sir."
"Aber ihr
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