Sten 6 - Morituri-Die Todgeweihten
unerwünscht.
Das Kabinett war vom regen Medieninteresse begeistert. Seine Mitglieder sahen darin ein deutliches Anzeichen dafür, daß sich die öffentliche Meinung ihnen gegenüber grundlegend änderte. Sie erkannten nicht, daß das Interesse allein durch ihre betonte Zurückgezogenheit entfacht wurde. Wenn sich eine Führungskraft verstecken wollte, stürzten sich die Vid-Leute mit Eifer darauf und nannten es
"Aktion Rosengarten": alles, was der betreffende Politiker dort tat und sagte, war berichtenswert, ob er nun in der Öffentlichkeit als Engel oder Attila galt.
Die "Presse" strömte auf die Erde, und die Journalisten waren sofort enttäuscht. Sie durften keinen Fuß auf das Anwesen setzen. Sie waren in eilig aufgestellten Militärquartieren untergebracht.
Ihre Vorgesetzten fletschten die Zähne. Berichten!
Was denn berichten? Das Kabinett war noch nicht einmal eingetroffen. Alles berichten!
Ein echter Reporter oder Berichterstatter hätte wahrscheinlich etwas zum Thema "Was mag das alles zu bedeuten haben?" oder einige Hintergrundberichte abgeliefert. Nicht so die Pressefritzen auf der Erde. Sie schwärmten aus und suchten überall nach Geschichten. Geschichten hieß für sie soviel wie "Farbe": die Gutmütigkeit des verstorbenen Tanz Sullamora; das kaum bekannte Anwesen, das er sich auf der Erde geschaffen hatte, um mit der Natur und dem Ewigen Imperator zu kommunizieren; sein trauriges Ende.
Dieser Themenkreis erschöpfte sich rasch. Die Pressefritzen rauften sich die Haare. Die Schönheit von Oregon (der Tourismus würde in den
kommenden Jahren garantiert explodieren). Die ungewöhnlichen Tiere der Erde. Das lustige Völkchen an der zerklüfteten Meeresküste. Und so weiter und so fort. Ein Blödmann wollte sogar Sten interviewen, ohne die geringste Ahnung, was er von ihm eigentlich wissen wollte. Er wurde höflich, aber bestimmt abgewiesen.
Sämtliche A-Grav-Gleiter, die zu vermieten waren, waren vermietet, und zwar von der zertrümmerten Großstadt San Francisco bis hinauf zu den Gletschergebieten. Sie brachten Vidcams, Ingenieure und Reporter bis in den allerletzten Winkel.
Der Imperiale Sicherheitsdienst zog seine Hörner ein und ignorierte sämtliche Meldungen, ob via Satellit, terrestrisch oder Sensormeldungen, die nicht direkt vom Anwesen selbst kamen. Sobald das Kabinett angereist war, würde sich die Sache wieder beruhigen. Dann hatten sie diese verdammten Pressefritzen wieder auf einem Haufen versammelt, wo sie mit allem abgespeist wurden, was das Kabinett ihnen in den gierigen Schlund stopfen wollte. Jedenfalls gab es keinen besonderen Grund, die Sicherheitscomputer momentan mit sinnlosen Daten zu überladen.
Noch sechsunddreißig Stunden ... Sten setzte sich in Bewegung.
Ein einzelnes, völlig sinnloses Codewort wurde ausgesandt. Mahoney würde es empfangen und wissen, daß das Team unterwegs war. Von da an war kein weiterer Kontakt mehr zwischen ihnen möglich, bis der Auftrag erfüllt war. Das Signal wurde in den Bergen und in den Ruinen des Städtchens
empfangen. Kurz darauf machte sich das Team auf den Weg. Mit einer Ausnahme: Kilgour. Dieses Kribbeln in Stens Rückgrat war noch immer da. Er erteilte seine Befehle.
Kilgour wurde vom Einsatzteam entbunden.
Anstelle von elf würden jetzt nur noch zehn Leute losziehen.
Alex brachte eine beeindruckende Imitation eines Detonationszentrums zuwege, nachdem ein mehrere Tonnen schwerer Sprengkopf explodiert war. Er hämmerte mit der Faust auf den Tisch, und das mehr als sechs Zentimeter dicke Holz zersplitterte.
Kilgour bekam sich nur schwer wieder in den Griff.
Seine Gesichtsfarbe durchlief das ganze
Farbspektrum von bleich bis Violett und wieder zurück.
"Warum?"
"Ich will, daß du die Hintertür sauber hältst. Das ist ein Befehl!"
"Ist mir egal. Du bist kein Admiral mehr und ich kein Technischer Offizier. Das war einmal. Lord Kilgour verlangt eine Erklärung, und er wird sie bekommen."
Sten erklärte es ihm: er hatte das unangenehme Gefühl, als würde ihm jemand über die Schulter blicken.
"Dann brechen wir die Sache am besten ab", schlug Kilgour vor. "Ich schlage mich nicht mit unsichtbaren Gespenstern herum. Oder wir überlegen uns einen neuen Plan."
"Dazu ist keine Zeit mehr", sagte Sten.
"Außerdem habe ich keine bessere Idee. Ich weiß noch nicht einmal, was an unserem Plan nicht richtig sein sollte - logisch betrachtet. Abbrechen? Wann kriegen wir jemals wieder eine derartige Chance?"
"All diese Jahre",
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