Sten 8 Tod eines Unsterblichen
Anker oder mit anderen vertäut, angefangen von kleinen Skiffs bis zu riesigen Restaurantbooten.
Rings um die Inseln trieben gewaltige Hamilton-Barrieren auf dem Wasser, die nach dem Muster der Gezeitenbarrieren auf der Themse entworfen worden waren und sich bei Hurrikanen oder Tsunamis innerhalb weniger Minuten automatisch zu schwimmenden Wellenbrechern aufrichteten. Es gab sogar noch größere Wellenbrecher, die im tiefen Wasser des ehemaligen Kealaikahiki-Kanals lagen, dort, wo die Raketen stationiert waren.
Als Kea Richards geboren wurde, besaßen seine Eltern ein kleines Restaurant auf der Großen Insel, in der Innenstadt von Hilo. Kea erinnerte sich nur dunkel daran, wie sein Vater und seine Großmutter von früheren Zeiten, damals auf dem Festland, erzählt hatten. In dem Restaurant gab es so ziemlich alles, und Kea wußte noch, wie sein Vater damit geprahlt hatte, daß sie alles auf den Tisch zaubern konnten, was man nur bestellte, solange sie nur ein Rezept und die Zutaten dafür hatten. Er glaubte sogar, daß sie einige Male dahingehend
herausgefordert worden waren, und er erinnerte sich schwach daran, daß sie mit einigen eigenartigen Gerichten mit noch eigenartigeren Namen bei diesen Herausforderungen triumphiert hatten. Er selbst fand es immer aufregend, wenn sein Vater eine Kiste auf den Stuhl neben dem Herd stellte, seinen Sohn darauf setzte und so tat, als würde er ihn beim Kochen um Rat fragen.
Er hatte große Schwierigkeiten, sich an seine Mutter zu erinnern, abgesehen von der Tatsache, daß sie sehr, sehr hübsch gewesen war. Aber vielleicht erinnerte er sich nur deshalb an ihre Schönheit, weil Leong Suk immer davon sprach - wenn auch nicht sehr wohlwollend. Sie war halb Thai, halb Irin gewesen; von ihr hatte Kea seine Augen, die so blau waren wie der Winterhimmel, wenn die Passatwinde die Luftverschmutzung hinwegbliesen. Kea war ihr einziges Kind, und genauso hatte sie es gewollt. Der Junge war nie dahintergekommen, warum sein Vater manchmal ein bestimmtes Lied sang, von dem Kea nur noch die Zeile "Ob-lahdee/ Oblahdah/ Life goes on..." einfiel, doch diese Zeile sorgte stets für einen handfesten Hauskrach.
Keas Mutter verschwand, als der Junge eben fünf Jahre alt war. Sein Vater suchte sie, befürchtete das Schlimmste, wobei er nicht sicher war, was das Schlimmste für ihn war. Er fand seine Frau wieder das heißt, er fand heraus, was mit ihr geschehen war.
Sie hatte sich freiwillig auf einen Longliner gemeldet. Der alte Richards erschauerte, eine Reaktion, die Kea erst nach vielen Jahren verstand, als er in der Lage war, einige der inzwischen der Allgemeinheit zugänglich gemachten Berichte zu lesen, in denen von den elenden, mörderischen und wahnwitzigen Zuständen erzählt wurde, die auf den monströsen Segelschiffen geherrscht haben mußten, sogar noch bevor jeglicher Kontakt mit ihnen auf ihrer Reise zu den Sternen abbrach.
Kea Richards weinte ein wenig. Dann sagten sie dem Jungen, es sei nicht so schlimm. Seine Mutter sei dort draußen viel glücklicher, und sie selbst könnten hier viel glücklicher sein. Nur sie drei. Zwei Jahre später schlug der Tsunami zu.
Als der Ozean verschwand, kletterte Kea gerade einen Baum hinauf. Ein Mädchen hatte behauptet, auf dem Baum hinge eine Kokosnuß, und da die Umweltverschmutzung schon Jahrzehnte zuvor die einheimischen Kokospalmen umgebracht hatte, wollte Kea wissen, wie die Frucht aussah. Er hatte seine Füße mit einer Seilschlinge verbunden, eine Sicherheitsleine um den Stamm geschlungen, und so kroch er behende an der Palme empor. Zufällig warf er einen Blick aufs Meer und wäre vor Staunen beinahe erstarrt. Es sah aus wie Ebbe, nur daß sich das Wasser mit einem gewaltigen Brüllen zurückzog, bis weit hinaus in die Hilo Bay. So etwas hatte er noch nie gesehen. Gestrandete Fische zappelten im plötzlich offen zutage tretenden Grundschlamm. Das Wrack eines Bootes wurde wieder und wieder um die eigene Achse gewirbelt, während der Pazifik angesaugt wurde, als hätte jemand den Stöpsel aus der Badewanne gezogen.
Zweitausend Kilometer weiter draußen auf dem Meer hatte ein unterseeisches Beben stattgefunden und drei Wellen in Richtung auf die Inselgruppe von Hawaii in Bewegung gesetzt. Jede von ihnen war nur einen halben Meter hoch - doch zwischen den Wellenkämmen lagen an die hundert Kilometer. Die Instrumente hatten das Beben registriert. Sie hätten sofort Alarm schlagen müssen. Doch als der Tsunami kam, schrillte keine einzige
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