Sten 8 Tod eines Unsterblichen
Sirene in der City von Hilo. Die großen Barrieren, die den Maui-Komplex und die Startbasis der Raketen schützten, schoben sich wie geplant in Position. Rings um Hilo gab es so etwas nicht.
Kea hörte Schreie. Er sah Leute
durcheinanderrennen. Einige liefen aus Neugier zum Strand, andere rannten in entgegengesetzter Richtung davon. Am anderen Ende der Straße sah er seinen Vater. Er rief nach Kea. Kea stieß einen Pfiff aus und sah seinen Vater energisch gestikulieren.
Kea gehorchte und war schon dabei, den Baum wieder hinunterzurutschen.
Er hörte das Brüllen. Das Meer kam nach Hilo zurück, so wie es das in weniger als einem Jahrhundert bereits viermal getan hatte. Der Meeresboden hatte die Basis der seismographischen Wellen verlangsamt, und jetzt, wo das Wasser vor der Küste immer flacher wurde, türmten sich die Wellen auf. Die erste Welle war nicht die größte, die Kea jemals gesehen hatte; sein Vater hatte ihn schon einmal nach Oahu mitgenommen und ihm während der Winterstürme die Nordküste gezeigt. Damals hatte er beim Anblick der großen Brecher gezittert.
Zehn Meter hohe Wasserwände waren gegen die Küste gedonnert. Die Welle jetzt war, wie es später hieß, nur fünf Meter hoch. Aber sie kam mit einer Geschwindigkeit von fast 800 Stundenkilometern heran.
Die erste Welle zerschmetterte den großen Wellenbrecher, als wäre er gar nicht vorhanden, und rollte weiter, sich überschlagend, schäumend, alles vernichtend. Sie zerfetzte Häuser, Schiffe, Gebäude, Autos, Luftkissenfahrzeuge, Männer, Frauen.
Zerfetzte sie und benutzte sie als Rammböcke für die nächsten Hindernisse. Die Vorderseite der Welle war eine massive Wand aus Schutt und Geröll. Kea bildete sich ein, er hätte noch gesehen, wie sein Vater davonzulaufen versuchte, wie die Welle ihn und ihr winziges Haus mitsamt dem Restaurant erwischte. Vielleicht hatte er es auch nicht gesehen.
Anderthalb Tage später wachte er in einem Armenhospital auf. Die Insassen eines Fischerboots hatten ihn gefunden; er war noch immer an diesem Baum festgebunden gewesen und beinahe einen Kilometer vom Land entfernt auf dem Meer getrieben.
Die Leichen seines Vaters und seiner Großmutter wurden niemals gefunden.
Kea landete jedoch nicht in einem Waisenhaus.
Eine ältere Frau erschien in dem Hospital. Leong Suk. Sie erzählte den Behörden, sie habe früher einmal für die Familie Richards gearbeitet und sei dort immer gut behandelt worden. Kea konnte sich nicht mehr an sie erinnern, doch er ging noch am selben Tag mit Leong Suk nach Hause. Sie besaß einen kleinen Laden in einer Seitenstraße in Kahanamoku City und verkaufte dort unverderbliche Lebensmittel und Kurzwaren. Sie und Kea wohnten über dem Laden. An diesem ersten Tag erklärte sie Kea die Regeln. Er mußte ein guter Junge sein. Das bedeutete, er müßte gewisse Zeiten einhalten und ihr im Laden helfen, wenn sie seine Hilfe benötigte. Er durfte ihr keinen Ärger machen. Sie sagte, sie sei zu alt, um ihm die Hölle heiß zu machen und wüßte nicht, was sie tun würde, wenn er sich schlimm aufführte. Und noch etwas. Kea mußte lernen, denn das sei der einzige Weg, der ihn aus diesem Slum herausführen würde. Es war ihr egal, was später aus ihm werden würde, aber er würde sein Leben nicht in Kahanamoku City verbringen. Kea nickte finster.
Er wußte, daß sie recht hatte. Dieser Ort hatte ihm bereits seine ganze Familie geraubt. Er hatte den Eindruck, daß er versuchen würde, auch ihn zu töten.
Kea, ohnehin ein wohlerzogener Junge, machte Leong Suk keinen Ärger - außer, als es um die Schule ging. Nach zwei Wochen im öffentlichen Gymnasium kam er nach Hause. Er würde dort überhaupt nichts lernen, behauptete er. Leong Suk war skeptisch. Er bewies es ihr, indem er ihr Kapitel für Kapitel aufsagte, was seine Klasse im nächsten Quartal lernen sollte. Sie überlegte, wer als Tutor für ihn in Frage kommen könnte. Kea hatte schon bald einen passenden Kandidaten ausfindig gemacht.
Drei Straßen weiter lag die Straße der
Gottesmänner. Winzige Ladenfronten, jede davon mit einem anderen Schamanen oder Priester bestückt, die alle nach Konvertiten und Jüngern Ausschau hielten. Kea kam nach Hause gerannt und erzählte ihr atemlos von einem von ihnen. Der Tempel des Universalen Wissens. Etwas größer als die anderen Bruchbuden und vollgestopft mit Fiches, Mikrofiches und Stapeln über Stapeln von Büchern.
Er verfügte sogar über einen altersschwachen Computer mit einer
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