Sten 8 Tod eines Unsterblichen
Anfang an nicht.
>Wann war das eigentlich gewesen, dieser Anfang ?< rumorte es in seinen Gedanken.
>Vielleicht.,.
Vielleicht auf der Insel Maui.
Vor Tausenden von Jahren. Als man die
Zeitrechnung noch nach der Geburt eines toten Gottes datierte.
Maui...
In einem Regen von Glassplittern .. .
Buch III
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DRACHENVARIANTE
Kapitel 21
Maui, A.D. 2174
Der Junge hastete über die unter ihm
wegsackenden Planken auf das nächste Schiffswrack zu, schoß wie ein Pfeil über das Vorderdeck. Gerade noch rechtzeitig sah er das geteerte Tau, mit dem das Boot an seinem Nachbarn festgemacht war, stieß sich mit rutschendem Fuß vom Schanzdeck ab dann war er in der Luft. Unter sich sah er den Morast und den Schlamm von Moaloea Bay, die träge Brandung, die das verdreckte Wasser gegen die schwarzen Schiffskörper schleuderte. Er landete, fiel beinahe, hechtete über den aufgetürmten Haufen Unrat auf dem Vorderdeck und warf sich flach auf den Boden.
Hinter ihm verwandelte sich das Keuchen in lautes Rufen. Sie waren zu sechst. Alle älter und größer als er.
Sie wollten nur mal sehen, hatten sie gesagt, was der Junge in seinem zerlumpten und ausgedienten Militärrucksack mit sich herumschleppte. Was sie sagten und was sie wollten, spielte keine Rolle. Ihre Absicht war eindeutig. Der Junge hatte einen neuen Weg durch die Bucht genommen, sich durch das Labyrinth aus gestrandeten Schuten, halbgesunkenen Luftkissenbooten, Fischkuttern und mit Ruder versehenen Hausbooten, die vor zwei Generationen den Reichen gehört haben mochten, gekämpft. Er schlich sich an den kleinen Dschunken der chinesischen Familien vorbei, die noch immer so auf ihren Booten lebten wir vor tausend Jahren, und arbeitete sich beharrlich zum Schiffskanal vor.
Jenseits des Kanals, am anderen Ufer, lag Kahanamoku City.
Der Junge wußte, daß ihn die sechs anderen nicht umbringen würden, wenn sie ihn fanden. Zumindest höchstwahrscheinlich nicht. Aber mit ziemlicher Sicherheit würden sie ihn verprügeln. Das war nicht das Problem. Er war schon öfter verprügelt worden und würde sich dem wieder stellen; und diejenigen, die ihn vertrimmten, durften selbst mit einigen Schrammen als Souvenirs rechnen. Nur das, was sich in seinem Rucksack befand, ließ ihn davonlaufen. Und er würde auch darum kämpfen.
Denn sie wollten ihm den Rucksack wegnehmen und ihn aufmachen. Dann würden sie sich über die darin verborgenen Schätze lustig machen, sie kaputtmachen und in das trübe Wasser werfen. Drei Bücher. Echte Bücher. Bücher, die der alte Mann, dem der Trödelladen am Pier gehörte, nicht haben wollte. Ein dickes Buch und zwei dünnere. Das dicke war sehr alt, in kleiner Schrift gedruckt und hieß Tausendundeine Nacht. Er wußte nicht, wovon es handelte, doch ein kurzer Blick auf einige Seiten versprach Abenteuer mit seltsamen Wesen an fremden Orten, mit Geschöpfen, die Rok und Dschinn hießen. Das zweite Buch sah ebenso undurchschaubar aus, war jedoch ebenso
vielversprechend: Die Befreiung von der Schwerkraft. Gleichungen und frühe Experimente des Lord Archibald McLean. Vielleicht konnte er daraus lernen, weshalb sich diese gewaltigen Barken mit Fracht vollstopfen konnten und sich dann trotzdem ohne Anstrengung in die Luft erhoben und über die Slums der Bucht hinwegdüsten, hinaus bis hinter die Absperrungen, hinter denen die Liegeplätze der großen Raketen lagen. Das letzte Buch war mitteldick: Sternenkind. Eine Jugend im All. Das Holo der Autorin auf der Rückseite des Umschlags sah nicht sehr vielversprechend aus, aber was machte das schon ? Immerhin war sie von diesem Planeten weg gewesen, und sie sah nicht viel älter aus als der Junge selbst.
Mehrere dumpfe Erschütterungen. Jetzt waren sie auf diesem Wrack. Ein violettes, dann ein gelbes Funkeln. Nein. Leong Suk würde sich schämen. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf, ein Gedanke, der älter als der Junge selbst war. Es ist nicht schlimm, sich zu schämen - wenn man später noch lebt und dieses Gefühl spüren kann.
Lautes Geheul. Sie hatten ihn entdeckt! Eine Hand packte ihn von oben herab, um ihn
hochzuziehen, einer geballten Faust oder einem Stockhieb entgegen. Der Junge packte eine Glasvase, die wohl schon vor langer Zeit hier vergessen worden war, und schlug sie quer über eine Metallstange seitlich neben sich. Das Glas zerbarst, und der Junge sprang auf die Beine. Und dann zog er die Vase wie einen Säbel quer über das Gesicht des älteren Jungen.
Blut.
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