Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Sein Humor war reichlich derb, aber immer treffend. Er ließ offen, ob es nur ein Scherz war, verhöhnte aber die offiziellen Symbole von Staat und Republik. Jedenfalls schlug sein Ansinnen so hohe Wellen, dass es beängstigend wurde, auch für ihn. Er hatte einer allgemeinen Unzufriedenheit Gesicht und Stimme gegeben, vielleicht wider Willen. Und seine Landsleute sind immer bereit, sich schnell für etwas Neues zu entflammen.
In den Meinungsumfragen erzielte Coluche bald 16 Prozent Zustimmung. Die Politiker, zumal der sozialistischen Partei, begannen ihn ernst zu nehmen und um den erhofften Wahlsieg zu fürchten. Auch Intellektuelle sprachen sich für seine Kandidatur aus, aber er trat schließlich doch nicht an. Seine Wirkung hatte die Republik leicht erschüttert. Als Coluche sechs Jahre später bei einem mysteriösen Motorradunfall ums Leben kam, fehlte es nicht an Verschwörungstheorien.
Stéphane Hessel ist von seiner Person und seiner Aura her nicht vergleichbar mit Coluche, aber die Dimension seines Erfolges ist es schon. Ein Unterschied besteht sicher auch darin, dass Coluche schon vorher bekannt war, während Hessel trotz einer gewissen Präsenz mit einem Schlag einen anderen Rang erreicht hat.
Man mag auch einen gewissen Bezug zu Abbé Pierre sehen, der gerade im hohen Alter sehr populär in Frankreich war. Unter diesem Decknamen hatte der katholische Priester Henri Antoine Grouès in der Résistance gewirkt und viele versteckt lebende Juden gerettet. Nach 1945 gründete er ein Hilfswerk für die Bedürftigen (Fondation Emmaüs), für das er bis ins hohe Alter wirkte. Als er am 22. Januar2007 im Alter von 95 Jahren starb, war er Jahr um Jahr die beliebteste Persönlichkeit in Frankreich gewesen – obwohl oder weil er oft mit harten Worten die jeweiligen Regierungen gegeißelt hatte. Abbé Pierre wurde zu einer nationalen Ikone, einer mythischen Figur, über die Roland Barthes schon 1957 geschrieben hatte: »Ich frage mich, ob die schöne und rührende Erscheinung des Abbé Pierre nicht für einen großen Teil unserer Nation das Alibi dafür liefert, um einmal mehr Gesten der Wohltätigkeit an die Stelle wirklich gerechter Verhältnisse zu setzen.«
Zum vierten Todestag des Abbé Pierre versammelten sich einige Hundert Menschen in Paris vor dem Gebäude der Fondation und bekundeten ihre Gründe der Empörung und des Engagements. Stéphane Hessel war dabei und lobte das Werk des Abbé, der heute immer noch genügend Gründe der Einmischung fände. Nicht nur deswegen ist ein Vergleich, was die Wirkung angeht, durchaus angebracht. Hessel füllt ein moralisches Vakuum in der politischen Sphäre und wird in ähnlicher Weise wahrgenommen wie der Abbé, der ein Mann der Tat und der deutlichen Worte war.
In jenem Oktober 2010, als Hessels Broschüre zur Empörung aufrief, wurde der amtierende Präsident Nicolas Sarkozy immer unbeliebter; die Sozialisten übten sich noch in ihren institutionellen Spielen, in denen sich persönliche Ambitionen hinter programmatischen Äußerungen verstecken; die Rechtspopulisten des Front National spürten Auftrieb, denn ihre giftigen Früchte wachsen wie Pilze auf faulem Holz. Zugleich mehrten sich die Anzeichen, dass die Banken- und Währungskrise von 2008 nicht überwunden war, sondern ein neues Stadium erreichte. Die Jugendarbeitslosigkeit blieb hoch. Die von Sarkozy versprochenen Reformen blieben aus oder waren wirkungslos. Diese allgemeine Unzufriedenheit fand in Stéphane Hessel eine Galionsfigur. Gerade diese Gestalt sprach die Jugend an, obwohl sie aus fernen Zeiten zu kommen schien, sie war nichtkompromittiert durch die politischen Zustände im Land. Vor allem war es klar, dass jemand seines Alters nicht Kandidat für irgendein Amt war. Auch hatte er es nicht darauf angelegt, mit einem Bestseller reich zu werden. So überließ er dem kleinen Verlag in Montpellier sämtliche Tantiemen.
Innerhalb weniger Wochen hatte sich Stéphane Hessel in den Medien des Landes etabliert. Er war eine Institution für sich allein geworden. Markige Thesen, klare Worte, eine überraschende Erscheinung, zugleich der Appell an eine nationale Mythologie, die positiv besetzt war (die Résistance), aber keine Selbstzufriedenheit, im Gegenteil.
Diese für ihn günstige politische Großwetterlage endete, als die Affäre um Dominique Strauss-Kahn im Sommer 2011 die öffentliche Aufmerksamkeit beherrschte. Diesen hatte Hessel immer skeptisch beurteilt und bezweifelt, dass er nach seiner Rolle
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