Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Jahrhunderts mit Enttäuschungen, Misserfolgen und Krisen ende, er sprach vom Versagen der verantwortlichen Politiker und der nötigen Veränderung an der Staatsspitze. Und für einen Augenblick konnte man sich an der Fiktion weiden, er selbst stünde an der Spitze der französischen Republik. Hätte nur gefehlt, dass ein mutiger Regisseur diese Fiktion zu Ende spielt. Henry de Montherlant schrieb einst ein Theaterstück mit dem Titel
Die Stadt, deren Fürst ein Kind ist
. Warum nicht »Eine Republik, deren Präsident ein Hundertjähriger ist«?
Im Januar 2011 setzte eine regelrechte Kampagne gegen Hessels Pamphlet ein, als hätten sich die Autoren abgestimmt. Um Hessels Erfolg einzudämmen, war es aber die falsche Methode, sie hat ihn eher noch gesteigert. Es waren zumeist jüdische Publizisten, die diese Angriffe führten. Ihnen ging es vorrangig um Hessels Kritik an Israel und nur nebenbei um die Schwächen seines Textes.
Ehe man aber vorschnell von einer »jüdischen Lobby« spricht, muss man auf einen historischen Zusammenhang verweisen. Bis zum Sechstagekrieg im Jahr 1967 haben sich die meisten jüdischen Intellektuellen in Frankreich bewusst als engagierte Vertreter der republikanisch-laizistischen Tradition verstanden. Seit aber Israel Gebiete außerhalb seiner Grenzen von 1947 besetzt hält, ist eine zunehmende Entfernung von der allgemeinen französischen Öffentlichkeit festzustellen, wobei es auch unter jüdischen Intellektuellen Kritiker der israelischen Politik gibt. Das ist ein sehr komplexes Feld am Ende einer langen Geschichte, die von der Dreyfus-Affäre am Ende des 19. Jahrhunderts über das Vichy-Regime bis zu de Gaulles Pressekonferenz im Jahr 1967 reicht, in welcher der General »die Juden« als »Elitevolk« bezeichnete, ja als »selbstsicher und herrschsüchtig«.
Manche jüdischen Intellektuellen in Frankreich verstehen sich in der Tat als engagierte Fürsprecher Israels, erwidern jede Kritik vorschnell mit dem Antisemitismusvorwurf; andere sehen, dass sie sich damit in eine Falle locken lassen, da sie ja als Franzosen gar keinen Einfluss auf Israels Politik haben und überdies in dieser Sache nicht mehr als französische Intellektuelle wahrgenommen werden, die sich im innerfranzösischen Kontext positionieren und als solche solidarisch sind oder eben auch kritisch.
Die bedingungslos pro-israelischen Intellektuellen fürchten, dass die Kritik an der israelischen Politik umschlägt ineine weltweite Kampagne, die Israel die Legitimität abspricht und letztlich das Existenzrecht des jüdischen Staates verneint. Und wenn man diejenigen, die Israel verteidigen, als Lobby bezeichnet, so gibt es ganz gewiss auch eine propalästinensische Lobby. Der Suggestivfrage, ob es legitim sei, Israel zu kritisieren, kann man ja die Frage entgegenstellen, ob man nicht auch die politischen Vertreter der Palästinenser (aller Tendenzen) kritisieren darf, die bisher alle politischen Lösungsvorschläge haben scheitern lassen.
Auf dieses verminte Gelände hat sich Stéphane Hessel mit seinen Stellungnahmen begeben. In einer komplexen Situation versucht er es mit einfachen Thesen. Und er steht eindeutig auf der Seite der Palästinenser. In Israel ist er inzwischen beinahe eine »Persona non grata«, zumal er wiederholt Gaza besucht und sich auch mit den Führern der Hamas getroffen hat. Vom 22. bis zum 27. Oktober 2010 etwa hielten sich Stéphane Hessel und Régis Debray in Gaza auf, wo sie unter anderem von Ismael Haniyya empfangen wurden, dem Chef der Hamas.
Diese Politik auf eigene Faust, als sei er eine kleine Großmacht, findet jedoch hier ihre Grenzen. Man sollte nicht vergessen, dass Hessels erster Antrieb kein politischer war, sondern ein menschenrechtlicher. Ihm ging es zunächst um die schlimme materielle Lage der meisten Palästinenser, die natürlich Anrecht auf menschenwürdige Verhältnisse haben, und in zweiter Linie um Maßnahmen von Israels Regierung und Armee, die gegen internationales Recht verstoßen.
Den Reigen der Kritik an Hessels Pamphlet eröffnete an prominenter Stelle der Literaturkritiker, Romancier und Biograph Pierre Assouline im Rahmen seiner Kolumne über das literarische Leben in Paris. »Hat man das Recht, sich nicht mit Stéphane Hessel zu empören?«, fragte er am 4. Januar 2011 in der Literaturbeilage von
Le Monde
. Natürlich sei es unmöglich, nicht dem Charme von Hessel zuerliegen, seinem entwaffnenden Lächeln, seinem unglaublichen Gedächtnis in Sachen Poesie,
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