Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
gegen die »Verachtung der Schwächsten und der Kultur, den allgemeinen Gedächtnisschwund und die maßlose Konkurrenz aller gegen alle«. Mit dem Appell »Widerstand leisten heißt Neues schaffen« endet Hessels Streitschrift.
Es folgt ein vierseitiges Nachwort der Verlegerin, in dem vor allem ein Lebensabriss von Stéphane Hessel wiedergegeben wird, wobei die Jahre der Résistance, der Lagerhaft und seine diplomatische Laufbahn im Mittelpunkt stehen. Am Ende wird Stéphane Hessel mit dem Satz zitiert, er habe immer auf der Seite der Dissidenten gestanden. Aber war er denn nicht in seinem Hauptberuf auch Diener eines Staates gewesen?
Wirkung
Das also ist der kurze Text, der so große Wellen geschlagen hat, eine Broschüre von nur 50 Gramm, die aber schwer wog in der öffentlichen Debatte. Ein energischer, leicht juveniler Aufruf zu Widerspruch und Widerstand mit einem israelkritischen Pferdefuß. Er wirkt ein wenig holprig, leicht windschief gebaut, unausgewogen in seinen Proportionen, ohne Schwerpunkt, politisch sehr allgemein, bis aufden einen Punkt: Israel. Es ist eher ein Interview, bei dem die Fragen weggelassen wurden. Er enthält historische Vereinfachungen, ein klein wenig Legendenbildung in eigener Sache, aber das ist ja erlaubt. Allerdings enthält er auch eine Parteinahme in einer heiklen Angelegenheit, einer der brisantesten überhaupt, dem Nahostkonflikt.
Ehe man das Pamphlet beurteilt, verurteilt oder eingehend analysiert, muss man bedenken, dass es sich nicht um ein durchdachtes und lange gereiftes Buch handelt. Es entstand beiläufig, beinahe zufällig, nicht aus der Absicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Manifest zu lancieren, um bestimmte Wirkungen zu erzielen. Aber ebendieses Zufallsprodukt, einer verlegerischen Eingebung entsprungen, hat gezündet und eine unfassbar große Wirkung erzielt. Die Präzision, die seinen Thesen fehlte, hat Stéphane Hessel in zahllosen Interviews und Artikeln nachzuliefern versucht, ohne von seinen Grundpositionen abzurücken. Grundsätzlicher und handlungsorientierter wurde er in zwei Folgeschriften, der Broschüre
Engagiert Euch!
, einem Gesprächsband, sowie dem gemeinschaftlich mit Edgar Morin verfassten Manifest
Le chemin de l’espérance
(Der deutsche Titel lautet:
Wege der Hoffnung
), beide im Verlaufe des Jahres 2011 erschienen.
Innerhalb des ersten Jahres wurden in Frankreich etwa 2,1 Millionen Exemplare der Broschüre
Indignez-vous!
abgesetzt, in Deutschland über 500 000, in Spanien ebenfalls, dort wurde es in alle fünf Landessprachen übersetzt (Kastilisch, Katalanisch, Baskisch, Galizisch, Valencianisch). Insgesamt erschienen etwa 40 Übersetzungen in aller Welt.
Worin liegt also das Potential der großen Wirkung des Appells? In der Einforderung der uneingelösten Utopien der Résistance? Aber wird die nicht auch etwas verklärt? Hat es nicht auch hier Verrat, Profit, Legendenbildung, erschlichenepolitische Legitimation gegeben – neben all dem echten Heldentum und unsäglichen Leid? Ist Sartre wirklich ein politischer Denker, an den man anknüpfen kann? Ist Hessels Weg wirklich so eng mit Sartre verknüpft, wie er vorgibt, liegt hier nicht eine biographische Suggestion vor? (Interessanterweise bezieht sich Hessel nicht auf Sartres Pamphlet
On a raison de se révolter
, das ja schon ähnlich zu permanenter Empörung aufrief. Aber dieses Gesprächsbuch ist wohl zu maoistisch konnotiert.)
Weiter könnte man fragen, ob die Hamas wirklich eine Organisation ist, mit der man verhandeln kann. Gewiss kann man der israelischen Politik Fehler und Versäumnisse anlasten, man versteht auch nicht recht, was hier die Ziele sind. Aber warum soll Israel vernünftig für zwei sein, wenn es keinen Partner für den Frieden gibt? Und geht man nicht zu weit, wenn man den »Juden« und nicht etwa den »Israelis« vorwirft, sie hätten nichts aus der Geschichte gelernt? Aus welcher Geschichte überhaupt? Dass sie seit dem ersten Tag ihrer staatlichen Existenz – anerkannt durch die UNO (!) – von den Nachbarn mit Krieg überzogen wurden?
Diese Diskussion wurde in den Medien geführt. Erklärungsbedürftig ist aber vor allem der Erfolg des Pamphlets, der in ein paar Jahren sonderbar erscheinen mag, aber real ist. Und der hat nichts zu tun mit der Parteinahme zugunsten der Palästinenser, eher schon mit der Wiederbelebung des Geistes der Résistance und vor allem mit dem Aufruf zum Handeln, da in der gesellschaftlichen Entwicklung in der Tat eine
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