Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
seiner Höflichkeit aus einem anderen Zeitalter, seiner beruhigenden Freundlichkeit. Auch bewundere man seine humanistische Botschaft und seinen vorbildlichen Lebenslauf. Doch habe es bisher kaum eine kritische Analyse seiner Streitschrift gegeben.
Diese sei mit ihren 13 Seiten doch kaum mehr als ein längerer Zeitungsartikel, man könne also nicht von einem »Buch« reden, auch erkläre der niedrige Preis von drei Euro nicht den Erfolg. Das Leitmotiv sei Empörung mit Ansätzen einer Handlungsanleitung und einer philosophischen Moral, doch könne man insgesamt nur konsterniert sein angesichts des Mangels an wirklichem Inhalt. Die Beweisführung sei so schwach und der Stil so unsicher, dass der Appell nicht die Kraft einer echten Streitschrift entwickle. Der eigentliche Schwachpunkt aber sei die Bezugnahme auf das Programm der Résistance. Seit 1944 habe sich Frankreich erheblich verändert, und manche Forderungen von damals klängen heute arg überholt.
Hessel fordere, dass man sich jederzeit und überall empöre, aus Prinzip. Man müsse aber räsonieren und nicht rebellieren, das habe bereits der Psychologe Boris Cyrulnik mit Blick auf Hessel geschrieben. Bei Stéphane Hessel komme alles zu emotional daher, zu wenig rational. (Aber genau darin liegt ja die Wirkung begründet, möchte man einfügen.)
Assouline fragt auch, ob es Hessel überhaupt zustehe, im Namen der Résistance zu sprechen. Woher bezieht er sein Mandat? Palästina nehme in diesem kurzen Text einen zu breiten Raum ein. Man spüre hier einen kaum verhaltenen Hass, der so gar nicht passen will zu seinem poetischen Phlegma. Hessels Empörung sei unausgewogen, er rede nicht vom Unrecht in anderen Weltgegenden, wo es genauso schlimm oder noch schlimmer zugehe. Er ist ganz auf Israel fixiert. (Die Kritik seiner Gegner ist es aber auch.)
Am 14. Januar 2010 zog
Le Monde
in einem Gespräch mit Stéphane Hessel eine Zwischenbilanz seines Erfolgs. Hier ging es vor allem um den Begriff der Hoffnung. (Das französische Wort »espérance« hat durchaus religiöse Nebenbedeutungen.) »Die Franzosen sind pessimistisch«, sagte Hessel, »sie glauben nicht, dass sie selbst etwas tun könnten.« Die Frage stelle sich: Wer ist heute der Feind? Die Antwort darauf falle nicht leicht. Einerseits sei es die Regierung mit ihrer Ausländerpolitik, der größte Feind weltweit sei jedoch die vom Finanzkapital beherrschte Wirtschaft. In seiner Broschüre habe er an beständige Werte erinnert. Er trete für Martine Aubry als Kandidatin der Sozialisten ein, hoffe aber, dass sich die Sozialisten zu den Grünen hin öffnen. Auch forderte er eine bessere und resolute Steuerpolitik. Am meisten fehle es an der Verschmelzung der verschiedenen Unzufriedenheiten, damit man sich wirksam engagieren könne.
Auf die Lage in Nahost angesprochen, erklärte er, die Politik der letzten israelischen Regierungen sei unannehmbar. Für die Hamas und den Terrorismus habe er keine Nachsicht, nur gelte es, die Gründe für deren Aktionen zu verstehen. Ob er sich jüdisch fühle? »Ja und nein.« Sein Vater sei Jude gewesen, aber von der antiken Mythologie geprägt, er selbst habe keine religiöse Erziehung erhalten. Wenn er aber Antisemitismus bemerke, dann fühle er sich jüdisch und zeige es auch.
Wie er sich seinen Erfolg erkläre, wurde er gefragt. »Das große Echo ist ein gesellschaftliches Phänomen«, antwortete Hessel. Alle westlichen Gesellschaften verlangten nach Werten und nach fundamentalen Freiheiten, nach einem wirklichen Rechtsstaat. Und deshalb werde sein Buch allenthalben übersetzt, auch wenn das Ausmaß des Erfolges etwas exzessiv erscheine.
Le Monde
veranstaltete auch einen Chat zwischen Stéphane Hessel und den Zeitungslesern. Gefragt, ob zu vieloder zu große Empörung nicht zur ungewollten Radikalisierung beitragen könne, antwortete Hessel: »Die Empörung ist in der Tat ein Gefühl, das man mit Vorsicht handhaben muss.« In ihr stecke durchaus Aggressivität, doch dürfe man sie nicht verwandeln in den Willen zu gewaltsamer Revolution.
Er gab zu, dass er sich besonders auf Palästina konzentriere, andere mögen sich andere Weltkonflikte suchen. Er begründete es mit seinen vielen Reisen dorthin. Ob er sich nicht naiv habe von Hamas instrumentalisieren lassen, wurde er gefragt, immerhin habe er deren Chef gelobt. »Ich bin nicht naiv, nur muss man eben mit seinen Feinden verhandeln, wenn man Frieden will.« Und da könne man Hamas nicht außen vor lassen. Er sei
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