Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
französischen Linken. Er glaube, dass der Kapitalismus gefährlich sei. »Der wildgewordene Kapitalismus ist eine der größten Gefahren, die vor uns stehen.« Die Kritik von Marx sei berechtigt und noch immer gültig, was nichts mit dem Misserfolg der sogenannten sozialistischen Länder zu tun habe. Hessel will also nicht dorthin zurück, sondern er beklagt, dass es heute keine Sozialdemokratie mehr gebe, dass sich Tony Blair in England und Gerhard Schröder in Deutschland der Finanzindustrie untergeordnet hätten. Gerade weil heute die »Ideologie der Sozialdemokratie« fehle, habe er sein kleines Büchlein geschrieben.
Auch zu Israel fand er in der
WOZ
deutliche Worte. Zunächst: »Ich wünsche mir, dass Israel ein starkes Land im Nahen Osten bleibt. Und das kann es nur dann, wenn es mit seinen palästinensischen Nachbarn Frieden schließt.« Für die Palästinenser gelte, wie etwa im Südsudan: Ein Volk braucht einen Staat.
Auf die Frage, warum er denn so angefeindet werde und seine Thesen in dem Punkt so umstritten seien, antwortete Hessel: »Die Feigheit Israel gegenüber ist geschichtlich verständlich.Man hat die Juden jahrhundertelang schlecht behandelt. Auch wenn es nicht immer so schlimm war wie in der Shoah. […] Daher hat die Welt ein schlechtes Gewissen den Juden gegenüber. Und wenn sie jetzt einen Staat haben, hat man wenig Lust, zu sagen: Hier übertretet ihr das Recht, das dürft ihr nicht.« Man sage es ihnen zwar, die UNO oder der amerikanische Präsident, aber: »Man übt keinen wirklichen Druck auf Israel aus, weil man Angst hat, Antisemit zu heißen. Und das ist das Schrecklichste, was einem passieren kann. Das passiert mir immer wieder, aber ich ertrage es gern.«
Wenn Israel Kriegsverbrechen begehe, wie in Gaza geschehen, dann müsse man das auch sagen. Wenn es das Recht verletze, müsse man es aussprechen, wie bei jedem anderen Staat auch. Von den Regeln des internationalen Rechts gebe es keine Ausnahme.
Im Dezember 2011 hatte Stéphane Hessel einen beachteten Auftritt in Genf. Auch in der Stadt, in der er einst als Diplomat gewirkt hatte, schenkten ihm die Medien und die Menschen große Aufmerksamkeit.
Eine andere Form der Auseinandersetzung mit Hessel fand in der
tageszeitung
der Journalist Rolf Lautenschläger (
taz
, 21. 8. 2011). Er berichtete über Hessels Rede zur Eröffnung des Kunstfests Weimar
pèlerinages
am 17. August 2011. Zwar bewunderte auch Lautenschläger, wie eindrucksvoll die frei gehaltene Rede auf das Publikum wirkte (Standing Ovations), aber er vermisste in Hessels Ausführungen zum Geist Europas Antworten auf eben jene Fragen, die mit der doppelgesichtigen Stadt Weimar-Buchenwald verbunden sind.
»Es hätten große Gedanken werden können über zentrale Fragen in der deutschen Gedenkkultur: Welche Wege müssen wir in der Erinnerungsdebatte ohne die KZ-Überleben den einmal suchen? Wo sind die Leerstellen in der Aufarbeitungder Nazivergangenheit? Der Zeitzeuge Hessel ist diese Antworten in Weimar schuldig geblieben. Was schade war, geht er doch sonst brisanten Themen wenig aus dem Weg.« Stattdessen habe Hessel den »zornigen alten Mann aus Paris« gegeben, der Revoluzzer wie bürgerliche Kulturpessimisten begeistere, weil er pathetisch zum Widerstand aufrufe »angesichts der Umweltkatastrophen, neuer Kriege und Ausbeutung, der zunehmenden Missachtung der Menschenrechte und immer wieder drohender Barbarei«. Hessel habe »das Thema des Abends und die Perspektiven in Richtung Buchenwald sowie die zukünftige Auseinandersetzung mit der Geschichte eines KZ nahe der Goethe-Stadt Weimar etwas außer Acht gelassen«.
Allerdings kennt Stéphane Hessel nicht die deutschen Formen und Themen der Vergangenheitsdiskussion. Doch warum hätte der französische Diplomat auf sehr deutsche Fragen eine Antwort geben sollen? Die Vergangenheit beschäftigt ihn weit weniger als etwa den verstorbenen Jorge Semprún. In Weimar nahm Hessel gleichsam den Platz des verstorbenen Autors ein, der sich allerdings in seinem letzten Roman (
Der Tote unter meinem Namen
) Hessels Schicksal im Lager fiktional angeeignet hat.
Hessels Sorge gilt der Zukunft. Dieser ruhige, sanfte, ausgeglichene Mensch fand es wichtig, in seiner letzten Botschaft eine Mahnung zu hinterlassen, eine aufrührende: Seid bereit, nein zu sagen und mitzubestimmen. Das tat er auch in Weimar. Europa sei bedroht vom Finanzkapital und von falschen Propheten, es sei ein Patient geworden, dem man helfen müsse. Das
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