Sterben in Rom
in den Weg stellte, zerriß er buchstäblich in der Luft. Damit war selbst die allergeringste Chance auf eine anderweitige Lösung der Auseinandersetzung dahin.
Es kümmerte mich nicht. Ich folgte dem Beispiel meines Bruders, wenn auch freilich weniger rigoros, weil es mir allein schon an seiner völlig ungezügelten Kraft mangelte. Titiana schlug sich nicht minder wacker.
Trotzdem senkte sich die Waage des Kampfes immer mehr zu unseren Ungunsten. Schließlich standen wir vollends auf verlorenem Posten und hätten ebenso gut aufgeben können .
. wäre uns nicht Hilfe zuteil geworden, die wir weder hatten erwarten können, noch war sie zu unserer Unterstützung gedacht gewesen.
Aber das Timing des Zufalls war unsere Rettung.
Die Katakomben wurden gestürmt!
Uniformierte stürzten in den Raum, mit gezogenen Waffen, und schon krachten die ersten Schüsse. Freilich ohne Schaden unter den unseren (in Gedanken nannte ich sie noch immer so, obgleich uns schon Welten trennten) anrichten zu können.
Doch es entstand Tumult, und dieses Durcheinander konnten wir - Tremor, Titiana und ich - nutzen, um zu fliehen.
Einer der Männer schoß noch auf mich. Ich lachte ihm ins Gesicht, und die Dankbarkeit, die in dem meinen Augen zu lesen war, mußte ihn schier verstört haben. Ebenso wie die Tatsache, daß ich seinen Namen kannte. Tinto hatte ihn uns genannt und ein Foto gezeigt, auf daß wir uns vor diesem Mann in acht nahmen.
»Ich danke Ihnen!« rief ich ihm zu, als die Schußwunde in meiner Brust sich bereits wieder schloß. »Vielen herzlichen Dank - Inspetto-re Nero Twistelli!«
Dann folgte ich Tremor und Titiana, albern das Bellen eines Bluthundes nachahmend, und rannte hinaus.
Einem neuen Leben entgegen.
*
Gegenwart
Sebastian von Soettingen hätte nichts lieber getan, als zu schreien. Seine Angst und seinen Schmerz hinauszubrüllen, hinauf zur Decke des schlichten Zimmers, in das ihn die Männer in Weiß gebracht hatten. Aber sie hatten auch noch etwas anderes mit ihm getan, ihm irgend etwas ins Blut gepumpt, das seine Kräfte lähmte. Und so konnte er nichts tun, weder sich regen noch auch nur den geringsten Laut ausstoßen.
Er wünschte sich, sie hätten seine Gedanken auf gleiche Weise lahmgelegt. Vielleicht hatten sie es sogar versucht, aber die Injektion mochte gegen die Macht des Wirbels, der sie in steter Bewegung hielt, nicht angekommen sein.
Sebastian von Soettingen war dazu verdammt, nur dazuliegen, stumm und starr - in der Qual seiner tosenden Gedanken.
Seiner Erinnerung.
An Tanja.
Er war schuld an ihrem Tod!
Vom Gegenteil konnte ihn auch die leise Stimme der Vernunft, die im Chaos seiner Gedanken noch nicht vollends untergegangen war, nicht überzeugen. Sebastian ließ es nicht zu. Hätte er es getan, wür-de er aufhören müssen, sich gedanklich mit Selbstvorwürfen zu geißeln. Dann würde sein Denken sich einzig auf Tanjas wahren Mörder konzentrieren.
Und das durfte er nicht zulassen!
Denn es wären Gedanken, die ihn über die Grenze zum Wahnsinn gepeitscht hätten! Und eine Rückkehr von dort schien ihm ausgeschlossen. Er wußte ja nicht einmal, ob er den Balanceakt, den sein Geist auf jenem schmalen Grat zwischen Normalität und Irrsinn gerade vollführte, unbeschadet überstehen würde.
Fast wünschte der junge Mann, er würde es nicht. Die Versuchung, sich in den grinsenden Rachen des Wahns fallen zu lassen, wurde sekundenlang beinahe übermächtig. Nicht zum ersten Mal seit Tanjas Tod .
. an dem er die Schuld trug!
Seine Gedanken drehten sich im Kreis, mal in größeren, mal in engeren, aber immer wieder gab es eine Art Kurzschluß, und alles begann von vorne, der ganze mörderische Wahnsinn, dessen Zeuge er geworden war!
Vielleicht war dieses Mitansehenmüssen seine Strafe dafür, daß er Tanja in die Fänge des Mörders getrieben hatte .
Sebastian dachte völligen Nonsens. Er wußte es. Konnte nichts dagegen tun. Und das Karussell des Irrsinns drehte sich weiter.
Hätte ich mich in der Trattoria nicht aufgeführt wie ein Idiot, wie ein cretino - sie würde noch leben!
Sebastian schluchzte und erschrak ob seines eigenen Lauts.
Ließ die Wirkung des Medikaments nach?
Er versuchte die Finger zu bewegen. Es gelang ihm mit sehr viel Verzögerung. Als ginge der entsprechende Befehl seines Gehirns nicht direkt über die Nervenbahnen, sondern machte Umwege durch das ganze Zimmer - durch die Schatten, die wie dunkle Gestalten in den Ecken lauerten, um sich auf ihn zu stürzen.
So
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