Sterben: Roman (German Edition)
darum, dass es da nichts gab, nichts an ihm berührte mich. So war es gewesen, aber dann hatte ich geschrieben, und mir waren die Tränen gekommen.
Ich setzte mich erneut aufs Bett und legte mir das Manuskript in den Schoß.
Aber das war nicht alles.
Ich hatte ihm auch zeigen wollen, dass ich besser war als er. Dass ich größer war als er. Oder wollte ich einfach nur, dass er stolz auf mich sein, mich anerkennen würde?
Er hatte nicht einmal gewusst, dass ich ein Buch veröffentlichen würde. Als wir uns das letzte Mal unter vier Augen sprachen, vor eineinhalb Jahren, hatte er sich durchaus danach erkundigt, was ich denn so machte, und ich hatte geantwortet, ich sei dabei, einen Roman zu schreiben. Wir waren die Dronningens gate hinaufgegangen, wollten essen gehen, ihm lief der Schweiß über das Gesicht, obwohl es kalt war, und er fragte, ohne mich dabei anzusehen, eindeutig Konversation machend, ob daraus denn etwas werden würde. Ich hatte genickt und erklärt, ein Verlag sei interessiert. Daraufhin hatte er mir im Gehen einen kurzen Blick zugeworfen, wie von einem Ort aus, an dem er immer noch der Mensch war, der er einmal gewesen war und eventuell wieder werden konnte.
»Es freut mich, dass es bei dir so gut läuft, Karl Ove«, hatte er gesagt.
Warum erinnerte ich mich daran so gut? Normalerweise vergaß ich praktisch alles, was die Leute, ganz gleich, wie nahe sie mir standen, zu mir sagten, und nichts an der Situation damals deutete darauf hin, dass es eine unserer allerletzten Begegnungen sein würde. Vielleicht erinnerte ich mich, weil er meinen Namen aussprach, es war sicherlich vier Jahre her gewesen, dass er ihn zuletzt in den Mund genommen hatte, und seine Worte wurden aus diesem Grund unerwartet intim. Vielleicht erinnerte ich mich, weil ich nur wenige Tage vorher über ihn geschrieben hatte, und das mit Gefühlen, die das genaue Gegenteil von denen waren, die er nun durch seine Freundlichkeit in mir auslöste. Vielleicht erinnerte ich mich aber auch, weil ich es hasste, wie sehr er mich im Griff hatte, was dadurch offensichtlich wurde, dass ich mich über so wenig so sehr freute. Um nichts in der Welt wollte ich etwas seinetwegen tun, seinetwegen zu etwas getrieben werden, weder in einem positiven noch in einem negativen Sinn.
Nun war dieses Wollen nichts wert.
Ich legte den Blätterstapel vor mir aufs Bett, steckte den Stift in die Tasche im Koffer zurück, beugte mich vor und hob den Pappkarton vom Fußboden auf, versuchte das Manuskript wieder hineinzustecken, was mir jedoch nicht gelingen wollte, weshalb ich es, so wie es war, in den Koffer legte, zuunterst, sorgsam mit Kleidern bedeckt. Der Pappkarton auf dem Bett, den ich lange anstarrte, würde mich jedesmal, wenn ich ihn sah, an den Roman denken lassen. Ihn mitnehmen und in der Küche in den Müll werfen, wie mein erster Gedanke gewesen war, wollte ich nun doch nicht. Er durfte nicht in dieser Weise zu einem Teil des Hauses werden. Also hob ich die Klamotten im Koffer wieder zur Seite und legte ihn neben das Manuskript, bedeckte beides mit Kleidern, klappte den Deckel herab und zog den Reißverschluss zu, ehe ich den Raum verließ.
Großmutter saß im Wohnzimmer und sah fern. Es lief eine Diskussionssendung. Für sie spielt das vermutlich keine Rolle, überlegte ich. Sie sah ebenso gern das nachmittägliche Kinderprogramm in TV 2 und TV Norge wie abendliche Dokumentationen. Ich hatte nie begriffen, was diese schwachsinnige Jugendwirklichkeit mit ihrer unendlichen Begierde, von der auch die Nachrichten- und Diskussionssendungen so voll waren, ihr sagen sollte. Ihr, die vor dem Ersten Weltkrieg geboren war und folglich aus dem wirklich alten Europa stammte, zwar von seinem äußersten Rand, aber trotzdem? Ihr, deren Kindheit in das zweite Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, deren Jugend in die zwanziger Jahre fiel, die in den Dreißigern erwachsen und in den Vierzigern und Fünfzigern Mutter geworden und 1968 bereits eine ältere Frau gewesen war?
Irgendetwas musste es sein, denn Abend für Abend saß sie dort und sah fern.
Direkt unter ihr war eine kleine gelbbraune Pfütze. Eine dunklere Fläche an der Sesselseite zeigte, woher sie kam.
»Ich soll dich von Yngve grüßen«, sagte ich. »Er ist gut angekommen.«
Sie warf mir einen kurzen Blick zu.
»Schön«, sagte sie.
»Brauchst du etwas?«, erkundigte ich mich.
»Brauchen?«, sagte sie.
»Ja, etwas zu essen oder so. Ich kann dir gerne etwas kochen, wenn du willst.«
»Nein,
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