Sterben: Roman (German Edition)
Schimmer ließ sich in Bodennähe im Tageslicht erahnen, rings um die Laubkronen der Bäume, ihre Stämme, die Sträucher am Zaun zum Nachbargrundstück. Er war so schwach, dass die Farben nicht gedämpft wurden, wie es im Laufe des Abends geschehen würde, sondern im Gegenteil intensiver wurden, da das Licht nicht mehr blendete und diese Zurücknahme ihrer Fülle eine Art Hintergrund bot, vor dem sie hervortraten. Im Südwesten, wo man mit etwas Mühe den Leuchtturm an der Fjordmündung erkennen konnte, war das Tageslicht jedoch weiter unbegrenzt. Einige Wolken glühten dort rötlich, wie aus eigener Kraft, denn die Sonne selbst war verborgen.
Nach einer Weile kam Großmutter herein. Sie schaltete den Fernseher ein und setzte sich in den Sessel. Die Geräusche der Reklame, die stets lauter waren als die Programme, füllten nicht nur das ganze Wohnzimmer, sondern hallten auch leise gegen die Wände.
»Kommen jetzt Nachrichten?«, sagte ich.
»Ich denke schon«, erwiderte sie. »Möchtest du mitgucken?«
»Ja«, sagte ich. »Ich will das hier nur noch fertig machen.«
Als ich sämtliche Holzpaneelen an der Wand geputzt hatte, wrang ich den Lappen aus und ging in die Küche, wo der Widerschein meiner Gestalt nun andeutungsweise, in Gestalt von vagen, helleren und dunkleren Feldern, im Fenster sichtbar wurde, goss das Wasser in den Ausguss, legte den Lappen über den Eimer, blieb für einen Moment regungslos stehen, öffnete dann den Schrank, schob die Küchenpapierrollen zur Seite und holte die Wodkaflasche heraus. Ich griff zwei Gläser aus dem Schrank über der Spüle, öffnete den Kühlschrank und holte eine Flasche Sprite heraus, füllte ein Glas mit Limonade, mischte diese in dem anderen mit Alkohol, und kehrte mit beiden ins Wohnzimmer zurück.
»Ich habe mir gedacht, dass wir uns einen kleinen Drink genehmigen könnten«, sagte ich und lächelte.
»Das ist aber nett«, sagte sie und erwiderte mein Lächeln. »Das können wir.«
Ich reichte ihr den Drink mit Wodka, nahm selbst das Glas Limonade und setzte mich auf den Sessel neben ihr. Furchtbar, es war furchtbar. Es zerriss mich. Aber ich konnte nichts dagegen tun. Sie brauchte das. So war es nun einmal.
Wenn es wenigstens Cognac oder Portwein gewesen wäre!
Dann hätte ich ihn mit einer Tasse Kaffee auf einem Tablett servieren können, was zwar nicht unbedingt ganz normal, aber vielleicht doch nicht so auffällig gewirkt hätte wie der durchsichtige Sprite-mit-Wodka-Drink.
Ich sah sie ihren alten Mund öffnen und schlucken. Ich hatte mir vorgenommen, dass es nicht nochmal passieren durfte. Trotzdem hielt sie jetzt ein Glas Schnaps in der Hand. Es zerriss mir das Herz. Glücklicherweise bat sie nicht um ein zweites.
Ich stand auf.
»Ich geh mal was telefonieren«, sagte ich.
Sie wandte sich mir zu.
»Wen willst du denn um diese Uhrzeit noch anrufen?«, sagte sie.
Wieder kam es mir vor, als würde sie sich an einen anderen wenden.
»Es ist erst acht«, antwortete ich.
»Ist es noch so früh?«
»Ja. Ich wollte Yngve anrufen. Und danach Tonje.«
»Yngve?«
»Ja.«
»Ist er nicht hier? Nein, er ist ja weg«, sagte sie. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit erneut dem Fernseher zu, als hätte ich das Zimmer bereits verlassen.
Ich zog einen der Esszimmerstühle heraus, setzte mich und wählte Yngves Nummer. Er war eben erst zur Tür hereingekommen, es hatte keine Probleme gegeben. Im Hintergrund hörte ich Torje schreien, Kari Anne versuchte ihn zu beruhigen.
»Ich habe über die Sache mit dem Blut nachgedacht«, sagte ich.
»Ja, was ist da gewesen?«, sagte er. »Es muss mehr passiert sein, als Großmutter uns erzählt hat.«
»Er muss gefallen sein oder so«, sagte ich. »Auf etwas Hartes. Hast du gesehen, dass seine Nase gebrochen war?«
»Natürlich.«
»Wir sollten mit jemandem reden, der hier gewesen ist. Am besten mit dem Arzt.«
»Das Beerdigungsinstitut kann uns bestimmt seinen Namen geben«, meinte Yngve. »Willst du, dass ich dort anrufe?«
»Ja, könntest du das übernehmen?«
»Ich rufe morgen an. Jetzt ist es schon ein bisschen spät. Wir sprechen dann später darüber.«
Eigentlich hatte ich vorgehabt, ein bisschen länger über all das zu reden, was hier geschah, aber aus seiner Stimme hörte ich eine gewisse Ungeduld heraus, was nicht weiter verwunderlich erschien, denn seine zweijährige Tochter Ylva hatte auf ihn gewartet. Außerdem war es trotz allem erst ein paar Stunden her, dass wir uns gesehen hatten. Dennoch
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