Sterben: Roman (German Edition)
Spülmaschinenpulver hinein und stellte sie an, wischte den Tisch mit einem Lappen ab, wrang ihn aus und hängte ihn über den Wasserhahn, obwohl die Begegnung des feuchten, gewellten Stoffs mit dem glänzenden Chrom des Krans etwas Obszönes hatte, ging ins Wohnzimmer und blieb neben dem Sessel stehen, in dem Großmutter saß.
»Ich glaube, ich gehe ins Bett«, sagte ich. »Es war ein langer Tag.«
»Ist es schon so spät?«, sagte sie. »Nun ja, ich lege mich auch bald hin.«
»Gute Nacht«, sagte ich.
»Gute Nacht.«
Ich drehte mich um und wollte gehen.
»Du?«, sagte sie.
Ich wandte mich wieder zu ihr um.
»Du willst diese Nacht doch wohl nicht wieder da oben schlafen? Es ist viel besser für dich, unten zu liegen. Du weißt schon, in unserem alten Schlafzimmer. Da hast du das Bad direkt nebenan.«
»Das stimmt«, erwiderte ich. »Aber ich glaube, ich schlafe trotzdem oben. Da haben wir uns jetzt eingerichtet.«
»Ja, ja«, sagte sie. »Mach, was du willst. Dann gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Erst als ich ins Schlafzimmer gekommen und schon dabei war, mich auszuziehen, begriff ich, dass sie den Vorschlag, unten zu schlafen, nicht meinetwegen, sondern ihretwegen gemacht hatte. Augenblicklich zog ich mein T-Shirt wieder an, zog das Laken ab, rollte die Decke zu einem Bündel zusammen, klemmte sie mir unter den Arm, packte mit der anderen Hand den Koffer und ging hinunter. Am Treppenabsatz zum zweiten Stock begegnete ich ihr.
»Ich habe es mir anders überlegt«, sagte ich. »Du hast Recht, es ist besser, unten zu liegen.«
»Ja, nicht wahr?«, sagte sie.
Ich ging hinter ihr die Treppe hinab. Im Flur drehte sie sich zu mir um.
»Und, hast du jetzt alles, was du brauchst?«
»Alles bestens«, sagte ich.
Dann öffnete sie die Tür zu ihrem kleinen Zimmer und verschwand.
Das Zimmer, in dem ich schlafen würde, gehörte zu den Räumen, die wir uns bisher nicht vorgenommen hatten, aber darauf, dass ihre Sachen wie Haarbürsten, Lockenwickler, Schmuckstücke und Schmuckkästchen, Kleiderbügel, Nachthemden, Blusen, Unterwäsche, Handtücher, Necessaires, Schminkutensilien auf den Nachttischen, der Matratze, den Einlegeböden der offenen Schränke, auf dem Fußboden, den Fensterbänken verstreut lagen, konnte ich keine Rücksicht nehmen, räumte nur das Bett mit einigen Handbewegungen frei, ehe ich Laken und Decke darauf legte, mich auszog, das Licht löschte und zu Bett ging.
Offenbar schlief ich sofort ein, denn als Nächstes erinnere ich mich, dass ich wach wurde und die Nachttischlampe einschaltete, um auf die Uhr zu sehen, es war zwei. Von der Treppe hinter der Tür drang das Geräusch von Schritten zu mir herein. Mein erster, noch schlaftrunkener und mit irgendetwas in meinem Traum verbundener Gedanke lautete, dass Vater zurückgekehrt war. Nicht als Wiedergänger, sondern als lebendiger Mensch. Nichts in meinem Inneren widersprach dieser Idee, und ich bekam Angst. Doch dann, nicht abrupt, sondern diese Vorstellung irgendwie weiterverfolgend, erkannte ich, dass sie lächerlich war, und trat in den Flur hinaus. Die Tür zu Großmutters Zimmer stand einen Spaltbreit offen. Ich lugte hinein. Ihr Bett war leer. Ich stieg die Treppe hinauf. Wahrscheinlich wollte sie nur ein Glas Wasser trinken, vielleicht hatte sie auch keinen Schlaf gefunden und war aufgestanden, um fernzusehen, aber ich wollte sicherheitshalber trotzdem nachsehen. Erst die Küche. Dort war sie nicht. Danach das Esszimmer. Dort war sie auch nicht. Dann musste sie ins Wohnzimmer gegangen sein.
Ja, da stand sie am Fenster.
Aus irgendeinem Grund machte ich mich nicht bemerkbar. Blieb im Schatten der dunklen Schiebetür stehen und betrachtete sie.
Sie schien in Trance gefallen zu sein. Ganz still stand sie dort und starrte in den Garten hinaus. Von Zeit zu Zeit bewegten sich ihre Lippen, als flüsterte sie vor sich hin. Aber es kam kein Ton heraus.
Ohne Vorwarnung drehte sie sich um und ging auf mich zu. Ich konnte nicht mehr reagieren, stand einfach nur da und sah sie kommen. Einen halben Meter vor mir lief sie vorbei, aber obwohl ihr Blick mein Gesicht streifte, entdeckte sie mich nicht. Sie passierte mich, als wäre ich ein Möbel unter anderen Möbeln.
Ich wartete, bis ich unten die Tür zugehen hörte, dann folgte ich ihr.
Als ich ins Schlafzimmer zurückkehrte, hatte ich Angst. Der Tod war überall. Der Tod war in der Jacke im Flur, in der sich der Umschlag mit Vaters Sachen befand, der Tod war in dem Sessel im Wohnzimmer, wo
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