Sterbensschön: Thriller -
zu wissen, dass sie da waren. Er ließ sie bereits wieder aus seiner Hand in das Prilosec-Fläschchen rieseln, als er das Telefon läuten hörte.
Er schraubte die Flasche zu, verstaute alles im Arzneischrank und ging in sein Schlafzimmer zurück, wo das Handy hartnäckig auf dem Nachttisch läutete.
Als er es zertrümmert hatte, war der Akku herausgefallen und das Gehäuse in zwei Hälften zerbrochen. Er hatte den Akku wieder eingesetzt und alles mit Isolierband zusammengeklebt.
Offenbar funktionierte es noch. Es hatte auch seine Vorteile, kein Smartphone zu besitzen.
Er hob es auf und setzte sich aufs Bett.
»Hallo, Patrick«, sagte er.
»Hab ich dich aufgeweckt?«, fragte Patrick.
»Nein«, sagte Archie und rieb sich die Augen. »Ich war schon wach.«
»Ich gehe wieder zu diesem Psychologen«, sagte Patrick.
»Das freut mich.«
»Darf ich dich besuchen kommen?«, fragte Patrick, und Archie hörte das Flehen in seiner Stimme.
»Jetzt nicht.«
»Bist du böse auf mich?«
Es brach Archie das Herz. »Schau«, sagte er, »selbst wenn deine Eltern einverstanden wären, könnte ich mich im Augenblick nicht um ein Kind kümmern.« Bei seinem Terminkalender konnte er sich nicht einmal um seine eigenen Kinder kümmern. Wenn er an einem Wochenende, an dem er die Kinder hatte, mitten in der Nacht zu einem Mordfall gerufen wurde, musste er sie ins Auto packen und zu ihrer Mutter fahren. Sie gingen dann bei ihm ins Bett und wachten bei ihr auf, was für niemanden ideal war.
»Archie?«, sagte Patrick.
»Was?«
Archie konnte Patrick atmen hören.
»Ich glaube, meine Eltern haben Angst vor mir«, sagte Patrick.
»Sie haben einfach Angst«, sagte Archie. »Nicht vor dir. Nur allgemein. Sie machen sich Sorgen um dich. Und sie haben Angst, das Falsche zu sagen oder zu tun.«
»Wirklich?«, sagte Patrick.
»Ja.«
Archie hörte Patrick gähnen. »Ich bin müde«, sagte der Junge. »Ich werde jetzt gute Nacht sagen.«
»Sprich mit deinem Psychologen, Patrick«, sagte Archie. »Okay? Erzähl ihm, was du mir erzählt hast. Das geht in Ordnung. Er kann dir helfen.«
»Mhm«, sagte Patrick und legte auf.
Archie legte das Handy auf den Nachttisch zurück.
Seine Knöchel waren immer noch wund, der frische Schorf von einem rosa Ring umgeben. Seine Hand war nass gewesen, als er das Vicodin hineingeschüttet hatte, und die Tabletten waren ein wenig geschmolzen und hatten einen weißen, kreideähnlichen Rückstand hinterlassen.
Archie hob die Handfläche an den Mund und schleckte sie ab.
Als Archies Handy das nächste Mal läutete, war das Schlafzimmer vom milchigen Licht des frühen Morgens erfüllt. Er schlief noch halb, als er sich meldete.
»Schau aus deinem Fenster«, sagte Henry.
Archie setzte sich auf und wickelte sich ein Laken um die Mitte. »Aus welchem?«
»Westen.«
Er ging zu dem nach Westen blickenden Fenster in seinem Schlafzimmer. Ein warmer Wind kam durch das offene Fenster, zusammen mit dem säuerlichen Geruch von der Überschwemmung. Die Westseite leuchtete im Morgenlicht. Die Baumlinie auf den Kämmen der West Hills zeichnete sich hell vor dem Himmel ab. Fenster blinzelten ihm zu. Der Fluss glitzerte. Archie brauchte einige Augenblicke, bis er den grauen Schmutzfleck vor dem Himmel in Richtung Norden entdeckte und ihn zur Westseite der Burnside Bridge zurückverfolgte, wo mehrere Feuerwehrfahrzeuge und wenigstens fünf Streifenwagen mit rotierendem Blaulicht standen. Der Verkehr staute sich über die Brücke zurück.
»Siehst du es?«, fragte Henry.
Portland hatte nicht viele visuelle Orientierungspunkte. Den Mount Hood. Die Zwillingsspitzen des Kongresszentrums. Und dann gab es noch das fünfzehn Meter hohe Neonschild PORTLAND, OREGON auf dem Dach eines Gebäudes in der Altstadt. Einen großen Teil seiner Existenz hatte das Schild für White-Stag-Sportkleidung geworben. Archie erinnerte sich von Ausflügen in die Stadt während seiner Kindheit daran, ein Umriss des Staates Oregon mit einem weißen Hirsch, der über den Namen der Firma springt. In den Fünfzigerjahren war jemand auf die Idee gekommen, dem Hirsch jedes Jahr zu Weihnachten eine rote Nase zu verpassen, wie jene, die Rudolph, das Rentier hatte. Das Schild wurde gekauft und verkauft, und die Produkte, für die es warb, wechselten, aber jedes Mal, wenn die Rede davon war, es abzumontieren, liefen die Bewohner Portlands Sturm. Sie liebten ihr Kompostieren, ihre erneuerbare Energie und ihr Recycling, sicher, aber sie liebten auch
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